Die Geschichten

Ein Koch, Der Bayurvedisch Kann

Wenn Indien und Bayern in der Küche fusionieren, dann ist von Bayurveda die Rede. Im Staudacherhof in Garmisch-Partenkirchen wird seit 2013 exklusiv Bayurvedisches kreiert – von Sascha Horst und Andreas Hollard, den wohl bayurvedischsten Köchen weltweit.

Bis ins kleinste Detail hat Staudacherhof-Sous-Chef Sascha Horst alles für das heutige Foto-Shooting vorbereitet. Vom Stück Rindfleisch über die zarten Austernpilze bis zur ayurvedischen Gewürzmischung, mit der man am liebsten spielen würde, weil sie so schön bunt ist und sich die Körner so glatt und kühl anfühlen. Wer eine Ahnung von Ayurveda hat, denkt jetzt vermutlich: Moment mal, Fleisch? Ist Ayurveda nicht vegetarisch? An Fleisch hat auch Sascha Horst gedacht, am ersten Tag der ayurvedischen Koch-Weiterbildung, die er 2013 absolvierte. Allerdings im ganz und gar gegenteiligen Sinn, denn als Koch in einem Hotel mit klassisch bayrischer Küche war ihm sehr schnell bewusst: Ohne Fleisch wird’s schwierig. „Bei uns gibt’s Schweinsbraten, Forelle und Spareribs“, so der Koch aus Sachsen, der seit 2006 in der Küche des Staudacherhofs köstliche Gerichte kreiert. Die klassisch ayurvedische Küche, in der Fleisch keine Rolle spielen darf, kam für den Staudacherhof also nicht in Frage. Dennoch wollte das Hotel das Ayurvedische, das im Wellness-Bereich so gut ankam, auch in die Speisekarte integrieren. Ein Widerspruch? Nur auf den ersten Blick. Denn die Idee, die traditionelle bayrische Küche mit jahrtausendealtem indischen Ayurveda zu kombinieren, gab es bereits als Patent. Das lag und liegt bei Andreas Hollard, dem Leiter jener Kochweiterbildung, die Sascha Horst absolvierte, und er nannte das Konzept Bayurveda. 2013 erwarb der Staudacherhof die Lizenz – und so fing alles an.

Bayurveda: Die bayrische Interpretation von Ayurveda 

Bayurveda verbindet bayrische Hausmannskost mit Grundsätzen aus dem Ayurveda, jener indischen Lehre, die die Harmonie von Körper, Geist und Seele anstrebt. Um dieses Gleichgewicht zu erreichen, benötigt der Körper alle sechs Geschmacksrichtungen im richtigen Mischverhältnis, so die Theorie. In der Praxis bedeutet das, jede Mahlzeit so zusammenzusetzen, dass sie zu 60% süß, zu jeweils 15% sauer und salzig, zu 5% scharf und zu jeweils 2,5% bitter und herb ist. „Dadurch hat der Körper die Möglichkeit, seinen Bedürfnissen entsprechend zu selektieren. Und alles, was er nicht braucht, scheidet er wieder aus“, so Sascha Horst. Aber wie passen nun Steak oder Schweinsbraten in dieses Konzept, das in einem Land entstanden ist, in dem die Kuh als heiliges Tier verehrt wird? „Ich beschreibe es immer so: Durch die Beilagen bei unseren Gerichten verzeiht einem der Körper das Stückchen Schweinsbraten. Auf das Gleichgewicht kommt es an“, so der Koch, der selber jeden Tag mindestens eine bayurvedische Mahlzeit zu sich nimmt. „Vielleicht merkt man nicht gleich nach dem ersten Ma(h)l einen Unterschied, aber mit der Zeit wird die Verdauung angeregt, und man fühlt sich fitter und hat mehr Speicherkapazität und Energie“, sagt Sascha Horst, der seiner Familie schon als Kind 3 Gänge-Menüs serviert hat, wie er erzählt. Heute richtet er bayurvedische Gewürz-Pralinen mit Chili oder Ingwer, Sauerkirschstrudel mit Bitterkuvertüre oder Schweinehalsbraten mit geschmortem Weißkohl und Bratkartoffeln an – und trifft dabei genau den Geschmack derer, die auf eine gesunde Ernährung achten, ohne auf Fleisch oder Fisch verzichten zu wollen.

"Bayurvedisches" Rinderfiletsteak im Pfeffermantel an sautierten Schwammerln mit Kressewaffeln

Und die Rezepte?

„Ich könnte ein bayrisches Rezept mit einem ayurvedischen in einen Topf werfen und schütteln, aber dabei würde nicht rauskommen, was wir haben wollen“, so Sascha Horst, der sich gemeinsam mit Andreas Hollard überlegt, was an Bayurvedischem auf die Speisekarte kommt oder bei einem der vier Yoga-Retreats serviert wird, die der Staudacherhof jedes Jahr abhält. Es stecke viel Arbeit in der Kreation neuer Rezepte, „und das Gefährlichste, was passieren kann, ist auf der Stelle zu treten und sich nichts Neues mehr zu überlegen“, so der Koch. Wenn er sich neue Rezepte ausdenkt, achtet er also nicht nur auf das richtige Verhältnis der Geschmacksrichtungen. Er lässt sich auch von drei weiteren Werten leiten: Frische, höchste Qualität und Saisonalität. „Was kann ich jetzt in einer Superqualität und auf Biobasis mit dem kürzesten Weg vom Acker bekommen?“ sei eine der Fragen, die sich der Sous-Chef immer stellen würde. Sogar bei den Gewürzen würde er versuchen, zum exotischen Original ein regionales Pendant zu finden, um die ayurvedische Rechenaufgabe erfüllen zu können: „Wenn ich Semmelknödel mache, dann nehme ich Brennnesseln und ein bisschen Wachholder und habe den gleichen Effekt, als hätte ich Kurkuma genommen.“

Auf der Suche nach dem Nullpunkt

Um zu neuen Ideen zu kommen geht er gerne in die Berge. „Dann setze ich mich auf eine einsame Bank, mache meine Brotzeit, trinke eine Flasche Wasser und suche meinen Nullpunkt. Es gibt nichts Schöneres als am Berg zu sein, die Kuhglocken läuten zu hören und die frischen Gräser zu riechen, deren Geruch dann am Gaumen hängen bleibt“, schwärmt er. Die Idee des in Heu eingewickelten Schweinsbratens, die er erst letztens umgesetzt hat, sei ihm auf einer dieser Mini-Auszeiten in der Natur gekommen. „Zuhause auf der Couch passiert das nicht“, so Sascha Horst. Abgesehen von dieser Zeit, die er sich selbst schenkt, würde er sich zur Inspiration auch intensiv mit seinen Lieferanten austauschen, sie fragen, was sie Neues hätten und ob sie vielleicht diese Kreuzung zwischen Kirsche und Pflaume besorgen könnten, von der er gehört habe. Auch dieser Austausch würde dem Stillstand entgegenwirken, den der Koch so fürchtet – eine Einstellung, die seinem Lebensmotto entspricht: „Am wichtigsten ist es, voranzukommen und sich weiterzuentwickeln, seinen Geist immer wieder aufs Neue zu fordern und zu befriedigen.“ Die bayurvedischen Herausforderungen machen’s möglich. Und Sascha Horst nimmt sie nicht nur gerne an: Er kostet sie so richtig aus.

www.staudacherhof.de

Text: Martha Miklin // friendship.is
Photos: Florian Lechner // friendship.is

15. November 2016

Lesen Sie die Geschichten von