26 Sommer Auf 1.600 Metern Über Dem Meer
„Wir waren jung und verliebt!“ kann auch der Anfang einer Erfolgsgeschichte sein.
Es war das Jahr 1990, als Elisabeth und Hermann Ostler, „jung und verliebt“, beschlossen, die Stepbergalm zu pachten. Sie investierten ihr ganzes Erspartes in einen kleinen Transporter, packten ihre sieben Sachen und zogen auf den Berg. Der begrüßte sie mit wochenlangem Dauerregen, aber sie blieben. Und das ist ihre Geschichte.
„Hinter mir geht’s abwärts, und vor mir steil bergauf“ singt es in meinem Kopf, auf dem Weg hinauf zur Stepbergalm. Zweieinhalb Stunden Wanderzeit, über Gebirgsbäche mit kristallklarem Wasser, das in der Sonne glitzert, über Steine, Wiesen, Serpentinen, vorbei an Aussichtspunkten mit großen Tannenbäumen, die die umliegenden Berggipfel wie ein Bild umrahmen, in dem sich nur die Wolken bewegen. Wir sind früh unterwegs, treffen niemand anderen außer dunklen Schmetterlingen, einem Frosch und dem schwarzen, weichen Schaf, das uns kurz vor dem Ziel im Weg steht. Die 800 Höhenmeter verwandeln Landschaft und Luft in etwas, das reiner wirkt, essentieller. So fühle auch ich mich, als wir auf der Stepbergalm ankommen an diesem Spätsommervormittag. Es sitzt noch niemand auf der Terrasse. Gut so, denke ich, dann hat Elisabeth Ostler, die Pächterin der Alm, ein wenig Zeit um uns ihre Geschichte zu erzählen.
„Der Kaskuchen ist noch im Ofen, aber wollt ihr daweil einen Kaffee?“, fragt sie uns in einem Dialekt, der verrät, dass sie aus der Region kommt. Wir setzen uns an einen Tisch in der Sonne, die hier auf knapp 1.600 Meter über dem Meeresspiegel auch noch im Spätsommer ihre volle Kraft entfaltet. „Ihr habt Glück mit dem Wetter“, sagt die Almbetreiberin, die weiß, dass es hier natürlich auch ganz anders sein kann. „Wenn auf dem Weg hinauf ein Gewitter aufgezogen ist bin ich um mein Leben gerannt“, erzählt sie. „Und in den ersten Jahren hatten wir nicht mal einen Blitzableiter.“ Die ersten Jahre, das waren die 1990er, Elisabeth und Hermann waren jung und voller Träume und Pläne. Als sich die Gelegenheit bot, die Stepbergalm zu pachten, zog die damals 23Jährige ihre Bergschuhe an, packte Dirndl und Zahnbürste in den Rucksack und marschierte mit Hermann die zweieinhalb Stunden auf den Berg. „Damals gab es weder Strom noch fließendes Wasser oder einen Weg, über den wir die Lebensmittel transportieren konnten. Aber das Schlimmste war, dass es die ersten drei Wochen durchregnete“, so Elisabeth, die zu jenem Zeitpunkt froh war, dass die Bank, bei der sie gearbeitet hatte, ihr statt der gewünschten Kündigung unbezahlten Urlaub gegeben hatte: „Ich dachte, ich gehe einfach wieder zurück in die Arbeit.“
Aber dann kam der Juli und mit dem Juli kam die Sonne und mit der Sonne kamen die ersten Gäste. Elisabeth und Hermann blieben und investierten all ihr Erspartes („Das waren 23.000 Mark, das weiß ich noch“) in einen kleinen Transporter, der den Hubschrauber als Lebensmitteltransporter ersetzte. Und seither verbringen sie jede Sommersaison oben am Berg. Hermann kümmert sich um den Transport, das Vieh – Milchkühe, Jungrinder, hunderte Schafe – und um das Essen, Elisabeth um die Gäste, die Bestellung der Ware und die bürokratischen Aufgaben. Und wenn es eng wird, helfen ihre mittlerweile erwachsenen Zwillinge Martina und Katharina gerne aus.
Ruhig ist es auf der Alm, wenn keiner da ist. Als langsam die ersten Gäste einkehren, die Elisabeth mit einem herzlichen „Servus!“ begrüßt, weicht die Stille der Berge einem Geräuschpegel, den nur Menschen produzieren können: eine Mischung aus Reden, Lachen, dem Aufzippen von Outdoorjacken und dem Seufzen beim Ablegen von Rucksäcken. „Ich bin gerne Gastgeberin, mag es unter Menschen zu sein, aber ich bin auch gern bei den Viechern. Ein Naturmensch war ich immer schon“, sagt Elisabeth, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Dass die nächsten Nachbarn auf der anderen Seite des Berges sind, scheint sie nicht zu stören. Einsam sei es hier ohnehin nur ganz in der Früh und abends, wenn keine Gäste da sind, die nach den Hirtenmakkaroni, der frischen Buttermilch oder dem luftig-lockeren Kaiserschmarren mit Apfelmus verlangen, für den die Stepbergalm bekannt ist.
Auf der Suche nach dem einfachen Leben
Wer seit 26 Jahren jeden Sommer auf der Alm Menschen bewirtet, wird auch zwangsläufig zum Beobachter. „Früher ging es den Leuten eher um Leistung, zum Beispiel beim Klettern. Heute gehen die Leute wieder gerne wandern, aber gemütlich. Es sind viele Familien unterwegs, aber auch die Jungen sieht man immer öfter – manche zelten dann auf der Wiese. Mir kommt vor, dass die Leute sich wieder nach dem einfachen Leben sehnen“, sagt Elisabeth. Diese Sehnsucht nach dem Einfachen, Echten sei spürbar, allerdings seien die Vorstellungen von dem genügsamen Leben auf der Hütte vor allem an sonnigen Spätsommertagen wie diesen etwas verklärt. „Man muss aber bei jedem Wetter raus und sich um die Tiere kümmern. Wird ein Tier krank, muss der Tierarzt raufkommen. Wird das Aggregat kaputt, geht der Strom nicht mehr und man muss es reparieren lassen oder unter großem Aufwand austauschen. Man muss ganz genau planen, was man an Ware braucht, denn der Transport hat begrenzte Kapazitäten und ist nicht ungefährlich“, erzählt Elisabeth über den Alltag auf der Alm und fügt sogleich hinzu: „Du brauchst immer gute Helfer im Hintergrund, die schnell einspringen, wenn etwas passiert.“ Dennoch sei es heute im Vergleich zu den Anfangsjahren wesentlich einfacher und komfortabler. Sogar die Plumpsklos wurden 2004 durch richtige Toiletten ersetzt. Es fehlt an nichts, und das, was man hat, weiß man zu schätzen. „Hier lernt man, zufrieden zu sein“, so die Almbetreiberin.
Wenn es Abend wird am Berg, kühlt es schnell ab. Je später der Sommer, desto kühler die Nächte. Und man weiß, es wird bald wieder Zeit, die Hütte winterdicht zu machen und runter ins Dorf zu gehen. Dort wird Elisabeth im Gästehaus ihrer Mutter zupacken – und Hermann verwandelt sich wieder in einen Pistenraupenfahrer. Während wir unsere Rucksäcke packen und die Reißverschlüsse unsere Jacken zumachen um den wunderschönen Rückweg über das Gelbe Gwänd mit ihren gelblich gefärbten, imposanten Felsformationen zu nehmen, bleiben die Ostlers noch bis Mitte Oktober auf der Alm, bei den „lieblichen Bergen“, wie Elisabeth sie beschreibt: „Die lieblichen Berge, die uns immer noch zum Staunen bringen.“ Zehn Sommer will das Ehepaar noch hier oben verbringen, lässt sie uns wissen, „und dann muss man wieder junge Leute ranlassen“, so die Almbetreiberin, die der lebende Beweis dafür ist, dass Geschichten, die mit „Ich war jung und verliebt.“ beginnen, auch gut ausgehen können.
Text: Martha Miklin // friendship.is
Fotos: Florian Lechner // friendship.is
12. Oktober 2016