Die Geschichten

Die Neue Sinnsuche

Über die Entdeckung neuer Werte in einer alten Tradition.

Die Krippenbauschule in Garmisch-Partenkirchen – Teil der örtlichen Schulen für Holz und Gestaltung - boomt, nicht nur in der Weihnachtszeit. Denn man eignet sich wieder verstärkt handwerkliche Fähigkeiten an. Das Kultivieren solcher Fertigkeiten ist wohl auch symptomatisch für die anhaltende Sinnsuche vieler Menschen, die eine alte Tradition wie den Krippenbau in einem neuem Licht erscheinen lässt. Krippenbau-Meister Martin Königsdorfer über das Bedürfnis, neue Wertigkeiten im eigenen Lebensraum zu schaffen. 

Obwohl der Krippenbau in einigen Regionen des Alpenraums schon seit jeher große kulturelle Bedeutung hat, besinnt man sich wieder verstärkt auf die eigenen Wurzeln, denen man, so die Hoffnung, durch traditionelles Handwerk wieder etwas näher zu rücken vermag. Tradition und Sinn bilden auch spannende Achsen im Gefüge einer globalen Welle von DIY und Selbstfindungs-Trends vom Kochen bis zum Yoga, die die Suche einer ganzen Generation nach scheinbar verloren gegangenen Werten reflektieren. 

Genau das beabsichtigt auch die Krippenbauschule in Garmisch-Partenkirchen: Werte vermitteln anstatt Modelle biblischer Szenen nachzustellen. „Wir wollen Traditionelles mit einer gewissen Modernität herüberbringen“, sagt Kursleiter Martin Königsdorfer. Das Kurs-Curriculum liest sich nicht minder spannend: Botanik gibt es da, Vergolden oder Hintergrundmalerei.
Filigran geschnitzte Figuren, Miniatur-Natur und Architektur sorgen für ein stimmiges Bühnenbild rund um das Hauptmotiv der Geburt des heiligen Kindes, in das man für einen Moment eintaucht und sich dann irgendwo in der Dreidimensionalität von Geschichte und Landschaft verliert: Kulturgut das lebt und wirkt.

Der Bezug zum Höheren

Trotz des religiösen Ursprungs tritt bei genauerer Betrachtung des Krippenbaues immer wieder der Aspekt der Natur in den Vordergrund. Denn es gehe darum, „deren ureigene Effekte auf die kleine Welt zu transferieren.” Gemeint sind die Farben und Formen in all ihren unendlichen atemberaubenden Nuancen. Fast scheint es im ersten Augenblick so als ob es um die Domestizierung der Natur und all jener Dinge geht, die im echten Leben manchmal unbezwingbar, unbegreifbar scheinen. „Was sich dabei aber auftut, ist ein Staunen und eine gewisse Ehrfurcht über das, was unser Vorstellungsvermögen normalerweise übersteigt“, so Martin Königsdorfer. Was er damit meint, umschließt vielleicht genau die Antwort auf die Frage nach dem Bezug zum Höheren: jenen Werten, die einen im Leben leiten. 

Etwas zu (be)greifen ist auch die Raison d'Être des Krippenbaus. Die bildliche Darstellung der Geburtsszene in frühen Jahren, als viele Leute weder lesen noch schreiben konnten, machte die Geschichte auf einer emotionalen Weise spürbar. 
„Was hier auf einen Blick vermittelt wird, ist das Menschliche in den Szenen“, sagt Martin Königsdorfer, denn es hebt familiäre Bezüge hervor und setzt einen Grundtenor in Sachen Empathie - seiner Meinung nach grundlegende Thematiken, mit denen sich viele stärker denn je identifizieren. „Wir leben in einem Zeitalter, wo alles strikt nach Plan läuft und Werte, die uns Menschen natürlich sind, verloren gehen.“

Süchtig nach der Ruhe

„Die vielen Stunden, die in den Entwurf und die Ausarbeitung einer Krippe gehen, schaffen auch neue Perspektiven für die bewusste Gestaltung des eigenen Lebensraums, und das fängt oft damit an, dass man der Massenware kritischer gegenüber steht“, so Martin Königsdorfer. Denn wenn man etwas selbst erschafft, dann setze man sich damit auch ganz anders auseinander.
Dafür heißt es, sich Zeit zu nehmen, etwas entstehen zu lassen. Je mehr man an Feinfühligkeit und Detailverliebtheit investiert, umso beeindruckender wird der visuelle wie auch der emotionale Reichtum des Gesamtwerks. Und mehr als oft finden sich die Suchenden, zumindest für kurze Zeit, in ihrem vollbrachten Werk.

Es geht aber auch um das Gefühl des Zusammengehörens in einer Sache, die verbindet. „Ich bin eindeutig ein Handwerker“, sagt Martin Königsdorfer, „es gibt mir Bodenständigkeit.“ Und es bringt Entschleunigung: „Für mich ist Luxus, wenn ich mich zum Schnitzen hinsetze, denn da kann ich abschalten. Vielleicht ist es genau die Ruhe, nach der man süchtig wird.“ 
Vor allem dann, wenn die gelernten handwerklichen Fähigkeiten oder „die Verbindung Kopf – Hand in Fleisch und Blut übergeht“, wie Martin Königsdorfer es umschreibt.

Man muss im Leben zu etwas stehen

Orientalische Krippen liegen im Trend, denn die Landschaft lässt viel Raum zur persönlichen Interpretation, die man mit Materialien wie Korkrinde, Styrodur, Pulverfarben, Leim und Gips zum Leben erweckt. 
Und auch da, auf der Suche nach den perfekten Requisiten, kommt man wieder auf die Verbindung zur Natur: Lärchenrinde als Dachschindel oder Mädesüß, deren Samen sich auch gut als Dattelfrucht machen. Eine spielerische Auseinandersetzung mit der ‘großen Welt’, in der man ganz bewusst die eigene Wahrnehmung wieder mehr sensibilisieren will. Deshalb verbindet Martin Königsdorfer das Sammeln gerne mit Wandern. 
„Man fährt mit dem Radl zum Eibsee hinauf oder auf die Stepberg-Alm, dort kann man schöne Touren gehen und nett einkehren zur Brotzeit.“ 
Wichtig sei ihm, dass kein Lift hinaufgeht. „Hier herauf kommen nur jene, die es wollen.“ Denn genauso wie beim Krippenbau muss man im Leben zu etwas stehen. 

Text: Sandra Pfeifer
Photos: David Payr // friendship.is

12. Oktober 2016

Lesen Sie die Geschichten von