Die Geschichten

Im Spannungsfeld Zwischen Tradition Und Moderne

Künstler Luis Höger lebt gerne in der Gegenwart, denn nur wer den Moment zulässt, dem tun sich neue Wege auf.

Die Arbeit des Luis Höger, wie er selbst sie beschreibt, ist ein Versuch, traditionelles Handwerk ins Jetzt zu transportieren. Eine interessante Herausforderung für den freischaffenden Künstler, der sich für seine Arbeit keinen besseren Ort als sein Atelier in Garmisch-Partenkirchen vorstellen kann.

Betritt man das Atelier von Luis Höger, vernimmt man im ersten Moment eine wohltuende Stille. Was dem Raum sein künstlerisches Leben einhaucht, sind eine Reihe unfertiger Skulpturen, ein paar in Bronze, die meisten aus Holz, Skizzen, Staffeleien, ein runder, wohlgenutzter Holzhammer, tausend andere undefinierbare Utensilien, und die Nachmittagsonne, die mit den verstaubten Pflanzen am Fensterbrett spielt. Hier wird eine andere Sprache gesprochen. Die aufkommende Nostalgie wird jedoch sogleich unterbrochen. 
„Es ist gerade ein furchtbarer Verhau, es gehört wieder einmal Ordnung geschaffen,“ begrüßt uns der Künstler. Aber man merkt gleich, dass er das mit der Ordnung nicht wirklich so meint. Wozu auch?

Aus dem Radio vernehmen wir auf einmal fröhlich klingende bayrische Volksmusik. Ein paar Larven und Engel an der Wand zeugen vom Entwicklungsprozess des Luis Höger: vom traditionellen Kunsthandwerker zum Künstler. Am deutlichsten aber zeichnet er sich an der Frauenskulptur aus Fichtenholz ab, an der er gerade arbeitet. 50 cm groß, steht sie selbstbewusst auf der Hobelbank. Ihr zartes, kleines Gesicht wirkt ausdrucksstark, so, als wollte sie einem etwas sagen. Man merkt, sie und ihr Meister sind aus einem Holz geschnitzt, denn genauso aufrichtig und seiner selbst bewusst steht Luis Höger da, die Hände vor der blauen Arbeitsschürze verschränkt, sein leicht kritischer Blick über den Brillenrand auf ihren Körper gerichtet.

Der Reiz des Banalen

Was Luis Höger reizt, sind die Menschen unserer Zeit, in all ihrer Verlorenheit, Verletzbarkeit und Banalität. Die Skulpturen auf seiner Website heißen Hermann mit Frau und grüner Tasche, die Chefin, Karin, Eva oder Herr Schmitt. Szenen aus dem Alltag. Luis Höger hat seine Kamera immer dabei, um jene fast schon belanglosen Situationen einzufangen, die unser Leben dennoch Moment für Moment bestimmen. So wie jener der jungen Frau, die mit dem Telefon hantiert. „Mir hat ihre Pose und die Handlung an sich so gut gefallen.“ Man spürt den Intellektuellen, den Denker, den Beobachter in Luis Höger, der in den 1970ern die Münchner Akademie der Bildenden Künste besuchte. Eine Zeit, wo Künstler sein noch hieß, mit Politik und Gesellschaft im Zwiespalt zu liegen.

Sein bevorzugtes Motiv sind Frauen, sein liebstes Material ist Fichtenholz. Obwohl letzteres stilistisch Grenzen setzt, mag er seine vielseitigen Strukturen, die sich an der Oberfläche entfalten. Er zeigt auf die wohlgeformte Wade der Frau: „...weil die Jahresringe unheimlich gut mit nei’ in den Fuß der Dame spielen.”
Durch flüchtige Skizzierungen mit Pastellkreide holt er die Figuren ins Jetzt. „Denn wenn etwas zu clean und zu sauber ist, dann wird es gefährlich“, sagt Luis Höger. Bei realistischen Figuren sei das immer so eine Sache „weil es auch sehr schnell ein Schmarrn werden kann“. Man sieht was er meint. Leicht könnten die Skulpturen pathetisch wirken, so aber berühren sie einen in all ihrer Echtheit. 
Auf diesem schmalen Grat zwischen Wirklichkeit und Kunst zu balancieren, genau das sei jedes Mal aufs Neue die Herausforderung, erklärt Luis Höger während er uns Kaffee macht. Auf der Packung steht Wildkaffee. Das sind so junge Leute, die ein Café betreiben, da gehe er immer wieder mal gerne hin, so Höger.

„I kennt mir’s nicht schöner vorstellen als hier drinnen”

Luis Höger war nicht immer Künstler. Lange beschäftigte er sich mit Heiligenfiguren und Larven - ein guter Brotjob, um eine Familie zu ernähren. „Ich wollte Geld verdienen und hab die Kunst weggeschoben.“ Nach einem Umbruch in seinem Privatleben, der eine neue Lebenspartnerin mit sich brachte, hat er mit deren Unterstützung eine völlig neue Richtung eingeschlagen. Und die lohnt sich. Die Holzskulpturen verkaufen sich gut. Viele seiner Kunden kommen von weit her oder finden ihn über das Internet. 
Die Seele, die in seine Arbeitsprozesse und seine Werke einfließt, so Höger, kann jedoch niemals durch Technologie ersetzt werden. Sieht man sich noch einmal die feinen Jahresringe des Fichtenholzes an, die sich um die Beine der Frauenskulptur ziehen wie feine Strümpfe, dann hat er wohl Recht.

Auf jeden Fall lebt es sich gut als freischaffender Künstler in Garmisch-Partenkirchen. Jeden Tag um 11 Uhr vormittags geht er für eine Stunde zum Kaffeetreff in der Olympiastraße, zum Austausch mit der Nachbarschaft. „Das brauch ich einfach.“ Und im Winter geht er Ski fahren - wenn er alle seine Weihnachtskrippen fertig hat. Solche Auftragsarbeiten machen ihm nach wie vor großen Spaß. 
In Garmisch-Partenkirchen sind Tradition und Handwerk noch immer eng miteinander verbunden. Högers Großvater mütterlicherseits hatte sich der Lüftlmalerei verschrieben – jene für den Ort typischen Malereien, die sämtliche Hausfassaden im Ort verzieren. 
„Ah schaut’s her, so ein interessanter Schatten“, zeigt er dann auf eine Figur unter den Pflanzen am Fensterbrett. Man kann gut nachvollziehen wenn er sagt: „I kennt mir’s nicht schöner vorstellen als hier drinnen.“

Text: Sandra Pfeifer 
Photos: David Payr // friendship.is

5. April 2017

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