Die Tracht Ist Kein Diktat
Italienische Schnitte, in Kombination mit Sneakern, ... – in der Trachtenmode ist weit mehr erlaubt, als manch einer denkt. So lange dabei keine Werte verletzt werden.
Wer durch die Fußgängerzone in Garmisch-Partenkirchen spaziert, wird feststellen: Mit Lederhose oder Dirndl fällt man hier eigentlich nicht mehr auf als jemand in Jeans oder Sommerkleid. So gilt die Lederhose beispielsweise in den lokalen Banken als gern gesehene Alternative zum Anzug. Auch Franz Grasegger trägt in seiner Freizeit gerne Lederhosen – und bei der Arbeit sowieso: Gemeinsam mit seinem Vater führt der 29-Jährige das Trachtenhaus Grasegger. Wir trafen ihn zum Interview.
In Garmisch-Partenkirchen bzw. Bayern ist die Tracht fest im Alltag verankert. Ist sie auch darüber hinaus alltagstauglich?
Mit unseren modernen Kleidungsstücken kann man im Businessalltag sehr gut auftreten. Momentan ist der italienische Anzug das Maß der Dinge – also enge Schulter, Taillierung, sportlicher Schnitt. Warum soll das nicht auch bei einem Trachtenanzug funktionieren? Das ist auch keine Verletzung der Tradition, denn wer sich ein bisschen mit der Thematik beschäftigt, der weiß, dass auch klassische Trachten immer durch Einflüsse von außen geprägt wurden. Eine moderne Tracht ist auch für den jungen Business-Menschen eine Option.
Seit dem Bau des heutigen Gebäudes im Jahr 1984 ist der Familienbetrieb ein reines Trachtenhaus, zuvor wurde es von den Familien Grasegger und Hartenstein gemeinsam als Mode- und Textilunternehmen geführt. Mit dem Umzug in das neue Gebäude entschieden sich die Familien, beruflich getrennte Wege zu gehen. Weil die örtlichen Schneider zunehmend verschwanden und bei großen Hersteller mit Serienproduktion die originalen Orts- und Vereinstrachten nicht zu kriegen waren, kooperierte Graseggers Vater Thomas mit einer kleinen Produktionsstätte in Kempten, um diese Nische auszufüllen. Im Jahr 2000 wurde diese übernommen und als Manufaktur Grasegger in Farchant neu eröffnet. Heute verfügt man über ein Repertoire von über 1500 Originaltrachten, die jederzeit produziert werden können.
Eine Tracht ist ein sehr traditionelles Kleidungsstück. Darf jeder Tracht tragen?
Gerade die Originaltrachten sind natürlich sehr stark mit der Herkunft und mit gewissen Werten verbunden. Es geht einfach darum, etwas zu finden, das zum jeweiligen Typ passt. Wenn ein Düsseldorfer Urlauber kommt, werde ich ihm keine Südtiroler Bergbauerntracht verkaufen, auch wenn sie ihm von den Farben und dem Schnitt vielleicht steht. Zwischen „Steht dir gut“ und „Passt zu dir“ ist ein großer Unterschied.
Franz Grasegger trägt zu seiner Lederhose eine Weste und ein koreanisches Hemd. Dazu Sneakers. Und trotzdem passt alles zusammen. Man sieht seinem Outfit auf den ersten Blick an, dass er von Mode – und speziell von Trachtenmode – sehr viel versteht. Es spiegelt das wieder, wofür das Trachtenhaus Grasegger steht: Ein „Haus der Tradition und der Moderne“, das zwar die Kultur bewahren will, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger. Moderne Kombinationen sind erlaubt, wenn dabei keine Werte verletzt werden.
Gerade Laien behaupten immer, eine Kombination aus Sneakers und Lederhosen sei ein absolutes No-Go – Sie beweisen das Gegenteil.
Ich würde so nicht ins Bierzelt gehen, aber für den Alltag passt es. Meine Hose basiert auf der Salzburger Tracht. Die Salzburger hatten diesbezüglich schon immer einen sehr offenen Zugang, haben mal Gürtel getragen und mal Hosenträger, manchmal Stutzen und manchmal keine. Da trau ich mich auch, das so zu kombinieren. Die Tracht ist grundsätzlich kein Diktat, denn wenn man eine Tradition bewahren will, muss es eine Möglichkeit zur Interpretation geben. Aber natürlich gibt es auch Originaltrachten, zu denen ein spezieller Dresscode einfach dazu gehört.
Seit fünf Jahren ist Franz Grasegger im Familienbetriebt tätig, seit einem Jahr als gleichberechtigter Geschäftsführer. Insgesamt 107 Mitarbeiter beschäftigt das Trachtenhaus Grasegger, davon rund zwei Drittel im Verkauf. Zudem beliefert man rund 200 weitere Trachtenhändler. Zum 30-jährigen Firmenjubiläum 2014 wurde das Haus umgebaut und auf 1800 Quadratmeter erweitert. Das Trachtengeschäft boomt.
Lange Zeit hatte die Tracht ja ein eher verstaubtes Image, heute erfreut sie sich großer Popularität. Welche Rolle spielen Veranstaltungen wie das Oktoberfest, wo Menschen aus aller Welt mit Dirndl und Lederhosen in Berührung kommen?
Das Oktoberfest hat natürlich seinen Teil zu dem Trend beigetragen, die Tracht aber auch ein wenig zum Partyoutfit gemacht – gleichzeitig wurde aber auch das Bewusstsein geschärft. Wer vor ein paar Jahren keine Tracht hatte, hat sich irgendetwas von der Stange gekauft und ist damit aufs Oktoberfest gegangen. Dort haben sie dann richtig hochwertige Produkte gesehen und festgestellt: Irgendwie schaut meine Tracht anders aus. Gerade jene Menschen, die nicht mit der Tracht aufgewachsen sind, haben dadurch einen anderen Zugang erhalten und angefangen, sich zu informieren. Insgesamt hat dies das Bewusstsein für unsere Werte und Art sich zu kleiden sicher erhöht.
Text: Matthias Köb // friendship.is
Foto: Ian Ehm // friendship.is
23. August 2016