„Wir Sind Keine Kunstflieger“
Wer glaubt, Helikopterpiloten seien Adrenalinjunkies, sollte sich einmal mit Captain Stefan Ganahl unterhalten.
Stefan Ganahl ist ein Mann der es gewohnt ist im Rahmen von klar definierten Richtlinien zu arbeiten. Als Chefpilot von Wucher Helikopter muss er sich nicht nur selbst an diese halten, er ist auch dafür zuständig, dass gesetzliche Regelungen in den unternehmensinternen Manuals umgesetzt werden – egal ob es sich dabei um einen Rettungsflug, einen Transportflug, Heliskiing oder eine Rinderbergung handelt. Seit dem Jahr 2000 ist Ganahl im Hangar in Lech Zürs am Arlberg stationiert. Für unser Interview gibt es ausnahmsweise nur eine einzige Richtlinie: Wir dürfen die Frage „Was haben Sie in Ihrem Beruf schon Spektakuläres erlebt?“ nicht stellen.
Was stört Sie denn an dieser Frage?
Stefan Ganahl: Ich mache doch nur meinen Job, wie jeder andere auch – wenn man das einen LKW-Fahrer fragt, der seinen Job seit 30 Jahren macht, könnte der vermutlich auch viele Geschichten erzählen.
Den Beruf des Piloten stellt man sich eben spektakulärer vor.
Stefan Ganahl: Ich habe eine Flugerfahrung von mehr als 10.000 Stunden auf dem Hubschrauber – sicher gibt es da einiges, das man erzählen könnte. Unser Job ist aber bei weitem nicht so spektakulär, wie manche vielleicht denken – und schon gar nicht gefährlich. Die Fahrt mit dem Auto zum Hangar ist wahrscheinlich gefährlicher als das Fliegen. Wir haben ganz klare Richtlinien, und natürlich gehen wir innerhalb dieser an die Grenzen, aber wir überschreiten sie nicht – sonst wird es eine Kamikaze-Aktion. Deshalb spielt auch das Wörtchen „Nein“ eine sehr wichtige Rolle.
Sie meinen, dass man als Pilot auch sagen muss: „Nein, wir können nicht fliegen“?
Stefan Ganahl: Genau. Als Pilot trägt man die Verantwortung für jeden einzelnen an Bord und unser oberstes Ziel muss immer sein, alle gesund zurück auf den Boden zu bringen. Es geht nicht darum, spektakuläre Manöver zu fliegen, von denen man nachher stolz erzählen kann – wir sind ja keine Kunstflieger. Übrigens ist es auch beim Kunstfliegen so, dass es einen gewissen Rahmen gibt, in dem man sich bewegt und dessen Grenzen man nicht überschreiten darf.
Sprechen wir über ihre Leidenschaft für die Fliegerei: Pilot ist ja ein klassischer Berufswunsch von vielen Kindern – wann haben Sie gemerkt, dass bei Ihnen mehr dahintersteckt als ein „kindlicher Wunsch“?
Stefan Ganahl: Eigentlich schon mit 12 oder 13 Jahren, als ich ab und zu in einem Hubschrauber mitfliegen durfte. Wir hatten zu der Zeit auch einen deutschen Gast in unserer Ferienwohnung der Berufspilot war und mich einmal mitgenommen hat. Danach habe ich zu mir selbst gesagt: Das möchte ich auch einmal erreichen. Ich habe dann bereits mit 15 Jahren begonnen, Motorsegler zu fliegen. Das ist eigentlich recht früh, wenn man bedenkt, dass ich damals noch nicht einmal Moped fahren durfte. Aber ein Motorsegelflugzeug mit 16 Metern Spannweite fliegen, das war OK.
Mit 21 Jahren zählten Sie zu den jüngsten Piloten in ganz Österreich. Wenn hier junge Menschen mitlesen, die ebenfalls Pilot werden wollen: Was braucht man dafür?
Stefan Ganahl: In erster Linie muss man die Sache sehr euphorisch angehen und viel Leidenschaft mitbringen, denn es dauert eine gewisse Zeit, bis man den Schein wirklich in der Hand hat. Ich musste beispielsweise nach Amerika gehen um Flugstunden zu sammeln, weil das Geld, das ich als KFZ-Mechaniker verdient habe, für Flugstunden in Österreich nicht gereicht hat. Zudem muss man schon etwas Geschick mitbringen, da wir alles händisch steuern. Ich würde sogar sagen, Geschicklichkeit ist wichtiger als Erfahrung. Das ist wie beim Autofahren: Es gibt Fahrer, die können nach 30 Jahren noch nicht richtig einparken und solche, die schaffen es auf Anhieb – und genau solche Leute brauchen wir in der Fliegerei.
In Lech Zürs führt Wucher Helikopter auch Heliskiing-Flüge durch – ein Angebot, dass es sonst nirgends in ganz Österreich gibt. Ich vermute, aus Pilotensicht ist ein Heliskiing-Job etwas ganz anderes wie ein Rettungseinsatz?
Stefan Ganahl: Man kann ganz grundsätzlich sagen: Fliegen ist nicht gleich Fliegen. Beim Heliskiing fliegen wir zum Außenlandeplatz, holen die Gäste dort ab und bringen sie auf den Gipfel. Das läuft alles sehr koordiniert und geregelt ab. Insgesamt fliegen wir rund 200 bis 250 solche Jobs im Jahr und ja, natürlich ist das auch für uns entspannter. Wenn wir da mal fünf Minuten Verspätung haben ist sicher niemand böse, weil die Leute gut drauf sind und wir ihnen ein unvergessliches Erlebnis ermöglichen.
Haben Sie persönlich einen Lieblingseinsatzbereich?
Stefan Ganahl: Für mich ist es ganz klar die Rettungsfliegerei, weil das mit Abstand der emotionalste Teil meines Berufs ist. Wenn ein Patient ein Jahr später zum Hangar kommt, sich bedankt und sagt: „Ohne euch würde es mich nicht mehr geben“ – das löst schon sehr starke Gefühle aus. Und ich denke, es kann sich jeder vorstellen, dass das etwas ganz anderes ist, als wenn ein Kunde nach einem Transportflug sagt: “Danke, ohne euch hätte ich das Fundament nicht rechtzeitig fertig gekriegt.“
Und wie lange dauert es, bis Sie abheben können?
Stefan Ganahl: Wenn es um jede Sekunde geht, sind wir in zwei Minuten nach der Alarmierung in der Luft. Das ist wirklich eine sehr gute Einsatzzeit.
Interview: Matthias Köb // friendship.is
Fotos: Ian Ehm // friendship.is
5. Dezember 2016