„Das, Was Man Nicht Sieht, Ist Am Wertvollsten!”
Dankbarkeit ist die Triebfeder von Tausendsassa Gerhard Lucian in Lech Zürs.
Gerhard Lucian aus Lech Zürs jongliert viele Jobs und Leidenschaften: Er ist Hotelier, Jäger, Senner, Kellner, Golfer - kurzum, ein Tausendsassa. Das bringt auch ein ordentliches Maß an Verantwortung mit sich, das so manche von uns als Stress empfinden würden. Doch er, mit seiner unerschütterlich positiven Lebenseinstellung, sieht das alles ganz gelassen - genauer gesagt, als Gegenleistung dafür „im Paradies zu wohnen”. Gerhard Lucian ist trotz seiner vielfältigen Aufgaben nämlich vor allem eines: ein absolut entspannter Zeitgenosse.
Wir treffen ihn an einem sonnigen Morgen in seiner Hütte auf der malerischen Kriegeralpe, eingebettet in grüne Wiesen auf 2000 Meter Höhe. Seinem Senner ist eine Kuh auf den Fuß gestiegen, und so springt der Chef höchstpersönlich beim Käsemachen ein. Denn für ihn ist die Zeit hier oben eigentlich purer Luxus, wie wir erfahren – neben einigem anderen, was er sonst noch so denkt.
Werte
Das ist Familie. Wenn diese funktioniert, hat man alles im Lot.
Hotelier
Ein Dienstleistungsgewerbe. Es ist wichtig, dass man das nicht vergisst. Man muss mit Leuten auf Augenhöhe kommunizieren können. Und man muss sich Zeit nehmen, denn es ist die Erfahrung, die den Erfolg ausmacht.
Golfer
Demut. Ich spiele seit 5 Jahren. Auch, wenn ich den Ball nicht richtig treffe, macht es mir Spaß. Das beste am Golf ist, dass man mit Freunden spielen kann, die viel besser im Wettkampf sind.
Wir machen eine kleine Pause, während Gerhard Lucian weiter in der Milch rührt und uns über ihren hohen Eiweißgehalt aufklärt. Das machen alles die wunderbaren Kühe, denen es hier oben sichtlich gut geht. Er zeigt uns eine Liste, wo sie alle ihrem Namen nach aufgereiht stehen: Taube, Zelda, Trudi, Maria, Tanja, Nina, Doris, Theresa, Zenzi.
Jäger
Das gehört einfach dazu ... Ich habe ein großes Revier gepachtet, dort lade ich oft meine Freunde und Kollegen ein.
Antrieb
Wir leben im Paradies hier. Dafür muss man halt auch etwas tun. Ich bin schon viel in der Welt herumgereist - aber am schönsten ist es zu Hause. Dankbar sein gehört zum Antrieb dazu.
Wissen aneignen
Augen auf, Ohren auf. Das ist das Allerwichtigste. Und natürlich mit den Leuten reden.
Ich bin ein Praktiker, ich schau mir an, wie andere es machen, und mit ein wenig Hausverstand kann man es auch.
Vor meiner Ausbildung habe ich eine ganz normale Kochlehre gemacht. Die Schule war nicht so meines. Mit 25 habe ich aber einen Diplomkurs in Hotellerie gemacht.
Meine Diplomarbeit befasste sich mit dem Tunnelsystem in Lech Zürs. Da habe ich Daten aus erster Hand gehabt, weil mein Vater der Initiator war. Das haben wir dann 1997 zusammen in Angriff genommen.
Das Schöne dabei ist, dass das, was man nicht sieht, am wertvollsten ist. Denn nun haben wir keinen Straßenverkehr, keinen Lärm. Das alles hat seinen Einfluss auf die Zufriedenheit der Gäste und ihr Wohlbefinden.
Früher wurden Lebensmittel, Betriebsmaterialien und das Gepäck der Gäste im Ort mit Überschneefahrzeugen transportiert. Als umweltschonendere Variante wurde der 550 Meter lange Tunnel zu den Hotels und Häusern in Oberlech errichtet, um den Transportverkehr auf der Straße zu entlasten. Gerhard Lucian rührt weiter in der Milch. Hinter ihm an der Tür hängt eine Anleitung zum Käsemachen.
Überzeugung
Ich mache, ich tue. Immer nur diskutieren bringt nichts.
Freizeit
Habe ich heute Nachmittag beim Golfspielen. Das ist nicht produktiv, das ist nur Zeit für mich. Produktiv sind wir gerade jetzt.
Tagesablauf
Tagwache ist um sechs Uhr. Hier oben bin ich bis zum frühen Nachmittag. Dann gehe ich hinunter ins Hotel zu meiner Frau, einen Kaffee trinken und mache eine Stunde Mittagschlaf. Ich lese meine Emails, dreiviertel davon lösche ich. Der Rest wird beantwortet.
Mein Sohn macht mittlerweile die Finanzen im Betrieb. Wir diskutieren, was zu tun ist.
Dann fahre ich ins Heizwerk, da habe ich auch die Geschäftsführung, und sehe nach dem Rechten.
Zum Abendgeschäft bin ich zurück im Hotel. Ich begrüße die Gäste. Abendessen. Meist kommt noch ein Nachbar oder Freund vorbei auf ein Glas Wein, bis Mitternacht.
Meinen nachmittäglichen Schlaf finde ich deshalb ganz wertvoll.
Wieder eine kleine Pause. Gerhard Lucian rührt jetzt die Milch kurz in die Gegenrichtung um sie zu stoppen. Nachdem Milch ein extrem schnelllebiges Lebensmittel ist, muss man mit ihr auch entsprechend vorsichtig umgehen, meint er. Dann holt er ein Glas mit selbstgemachtem Joghurt zum Verkosten. „Schmeckt’s?” fragt er in seiner angenehmen und immer gleichmäßig ruhigen Stimme.
Burnout
Man muss mit dem, was man tut, zufrieden sein. Ich gehe oft in meine Jagdhütte, rauche gemütlich eine Zigarre, trink’ ein Bier dazu und hoffe, dass kein schussbares Wild vorbeikommt, denn sonst muss ich wieder etwas tun...
Weitergeben
Meine Eltern haben sich da schwerer getan, weil sie den Betrieb praktisch von Null aufgebaut haben. Ich tue mir leichter, ihn an meinen Sohn zu übergeben. Ich habe etwas Gutgehendes übernommen und baue es gemäß den Ansprüchen der Zeit aus. Und dann ist er dran. Aber am Wichtigsten dabei ist, dass man auch die schönen Seiten an der Arbeit vorlebt.
Text: Sandra Pfeifer
Fotos: David Payr // friendship.is
5. April 2017