Die Modemacherin Vom Berg
Eine Geschichte über eine Begegnung mit einer, die Mode liebt: Sonia Zimmermann.
Mitten in Lech gibt es einen kleinen Laden mit dem Namen Lenai & Linai. Er hat eine große Glasfront, hinter der aktuelle Stücke posieren, als wären sie Models – Kleider, Taschen, Jacken. Seine Tür ist mit dickem Stoff überzogen. Darauf liest man eine bedruckte Aufschrift: „Trying to look good limits my life.“ Der Spruch kommt von Stefan Sagmeister, dem berühmten, in New York lebenden Bregenzer Grafikdesigner. Wenn man Sonia Zimmermann, die Besitzerin des Ladens, kennen lernt, bekommt man schon bald das Gefühl: Das ist gar nicht ironisch gemeint. Nicht, weil sie wirkt, als mache sie sich keine Gedanken über ihr Aussehen. Ganz im Gegenteil: Ihrem heutigen Outfit – Nadelstreifkleid mit schwarzen Chelsea Boots – ist anzumerken, dass sie Mode liebt und Spaß daran hat, sich gut zu kleiden. Aber dabei scheint es nicht in erster Linie ums Aussehen zu gehen, sondern darum, dass Kleidung das Potential hat, die Persönlichkeit eines Menschen herauszustreichen. „Meine Sachen passen selbstbewussten Leuten die einen eigenen Stil haben und nicht auf Marken angewiesen sind.“ sagt Sonia Zimmermann. Leuten, denen es nicht darum geht gut auszusehen, sondern so auszusehen wie sie eben sind.
Mit der Wolle hat es angefangen, weil ich eine besondere Beziehung zu Wolle habe.
Ihre Kleider, Jacken, Pullover, Röcke und Accessoires (Taschen, Schlüsselanhänger, Smartphone- und Laptophüllen, Mützen und mehr) sind zum Großteil aus Naturmaterialien gemacht: Walk, Filz, Loden und Wolle. „Ich verwende aber auch immer wieder reines Polyester, Seide, Baumwolle und Samt. Mit der Wolle hat es angefangen, weil ich eine besondere Beziehung zu Wolle habe.“ Die begann, als Sonia Zimmermann fünf Jahre alt wurde und zum Geburtstag Stricknadeln und Wolle geschenkt bekam. „An der Wolle hat mich schon immer fasziniert was man alles daraus machen kann. Dass man aus einem Faden so ein tolles Gewebe machen kann, auch mit Mustern, das finde ich genial.“ sagt sie. Die Stoffe kommen fast ausschließlich aus Österreich, die Kleidungsstücke und Accessoires werden in Vorarlberg gefertigt. Wenn man seinen Blick durch den Laden wandern lässt, fallen einem gleich die vielen Farben der gestrickten Pullover, Jacken, Taschen & Co. auf. „Farben sind mir total wichtig“, sagt Sonia Zimmermann. „Ich liebe es, sie miteinander zu kombinieren.“ Auch unterschiedliche Stoffe führt sie gern zusammen. Ihre Kreationen werden als unkonventionell und eigenwillig beschrieben, als zeit- und alterslos bezeichnet sie sie selber.
Inspiriert sind sie oft von etwas Unbewusstem.
„In meinen Sachen spiegelt sich eigentlich meine Kindheit wider. Als ich durch mein Elternhaus gelaufen bin und die Fotos an den Wänden gesehen habe, dachte ich: Die Sachen, die die Leute damals anhatten, hängen alle bei mir im Geschäft. Das war mir aber lange nicht bewusst.“ Wie es bei kreativen Köpfen üblich ist, entstehen in Sonia Zimmermanns Kopf laufend Ideen. Sie beschreibt es so: „Es ist ja nicht nur die Mode allein, man kreiert sowas wie ein eigenes Leben oder eine eigene Welt und ist eigentlich immer am Gestalten.“ Inspiration findet sie in der Natur, „Mode vom Berg“ nennen sich ihre Stücke. „Man kann sie aber genauso gut in der Stadt tragen“, sagt sie. Umgesetzt werden die Ideen dann ein paar Häuser weiter oben, wo sie lebt und arbeitet. Es ist ein Stall, der zum Haus ausgebaut geworden ist und durch eine mint-türkise Kupferfassade auffällt. In der obersten Etage befindet sich das Atelier, das Reich der tausend Stoffe und Wollknäuel. „Ich habe extra aufgeräumt, und es ist noch immer so unordentlich.“ entschuldigt sie sich. Ich habe überhaupt nicht den Eindruck von Unordnung, ganz im Gegenteil. Vielleicht weil ich diese Art zu arbeiten von meiner Mutter kenne, deren kleines Nähzimmer, wie wir es immer genannt haben, wesentlich chaotischer war. In Sonia Zimmermanns hohem Dachgeschoß sind die Stoffe ordentlich in milchigen Plastikboxen untergebracht, die wie Bausteine aufeinandergestapelt sind. Hier skizziert und schneidert die Vorarlberger Designerin, beobachtet von Thomas Bernhard, der von einem Poster an der orangefarbigen Zwischenwand herabblickt, die Arbeitsbereich und Badezimmer voneinander trennt.
Sonia Zimmermann gehört definitiv zu der Gruppe Mensch, der sich wirklich nicht gerne fotografieren lässt. Sie tut es dennoch und setzt sich für uns ins Schaufenster, den Blick raus aufs Dorf. Kurz darauf kommt ihre Mitarbeiterin Verena in den Laden: „Das hat so cool ausgeschaut, wie du da jetzt gesessen bist.“ sagt sie. Außer Verena gehören noch drei Strickerinnen und eine Schneiderin zum kleinen Lenai & Linai-Team. Das Label wird dieses Jahr volljährig. Seit 1999 gibt es den Laden in Lech, den Sonia Zimmermann nach einem Schwesternpaar aus Salzburg benannt hat. „Die haben in den Bergen gelebt, waren ihr Leben lang zusammen und irgendwie hat mich das fasziniert“, sagt sie. Eigentlich wollte sie den Laden gemeinsam mit einer Freundin eröffnen, aber daraus sei dann doch nichts geworden. Bevor sie ihre eigene Mode-Manufaktur gründete, hat sie sieben Jahre lang Seidenblumengestecke verkauft. Davor ließ sie sich in Wien zur Werbegestalterin ausbilden. Eine Ausbildung im Bereich Mode hat sie nie absolviert. „Im Nachhinein kommt es mir total irre vor, was ich gemacht habe. Es war ein Sprung ins kalte Wasser und natürlich habe ich mich auch ein bisschen überschätzt. Ich dachte alle warten nur auf meine Sachen, aber das war überhaupt nicht so.“ erinnert sie sich, um dann gleich zu ergänzen: „Es ist also keine Erfolgsstory, die Sie jetzt schreiben können. Es ist von Anfang an anstrengend gewesen und im Grunde ist es schwierig geblieben.“ Sonia Zimmermann lacht und nimmt der Aussage sofort die Dramatik. „Also ich sehe das schon als Erfolgsgeschichte“, antworte ich ihr. „Sie haben einfach angefangen, das zu machen, was Sie immer machen wollten.“ Ich weiß nicht ob sie mir nun zustimmt, weil sie das auch so sieht oder einfach nur um das Thema auf sich beruhen zu lassen.
Jömmera isch blöd. I sött eappas tua, odr ’s vergeassa
Sie zögert nochmal kurz, bevor sie ergänzt: „Ich wollte Ihnen jetzt eigentlich nur Positives erzählen, aber jetzt bin ich wieder am Jammern. ‚Jömmera isch blöd. I sött eappas tua, odr ’s vergeassa’ – Jammern ist blöd. Entweder ich tu was oder ich muss es vergessen. - habe ich mir deshalb auf die Tür genäht.“ Der Spruch kommt mir bekannt vor. Bis ich mir darüber bewusst werde, woher: Er kommt ebenfalls von Stefan Sagmeister. Ich hatte ihn vor ein paar Monaten auf der Happy-Ausstellung im Wiener MAK gelesen, in Handschrift auf die Wand geschrieben. Jammern ist nur blöd, wenn es beim Jammern bleibt, denke ich mir. Aber manchmal ist es der notwendige Anfang, um Dinge in Bewegung zu setzen und sie von Innen nach Außen zu bringen. „Seien Sie nicht so streng mit sich selbst“, hätte ich Sonja Zimmermann noch gerne gesagt. Nur getraut habe ich mich nicht. Aber im Nachhinein denke ich, das ist schon in Ordnung so: Sonia Zimmermann hat ihren Weg längst gefunden.
Text: Martha Miklin // friendship.is
Fotos: Florian Lechner // friendship.is
9. März 2017