Die Geschichten

Drei (B)Engel Für Klosters

Wie drei junge Männer eines der traditionsreichsten Hotels Klosters in die Moderne führen.

Unscheinbar und doch mit altehrwürdigem Charme ausgestattet, steht das Hotel Wynegg im Zentrum von Klosters. Im Gastgarten des Hotelrestaurants sitzen Andri, Hitsch und Cédric und witzeln über dieses und jenes. Die drei Jungs haben das Wynegg 2013 übernommen und neu gestaltet. Dabei ist ihnen der Spagat zwischen Traditionsbewusstsein und Moderne überaus gut gelungen.

Gründervater des Wynegg war Paul Guler, ein Pionier des Gastgewerbes, dem man nachsagt, er habe die Engländer zum Urlauben in die Schweiz gebracht. So war das Wynegg eines der ersten Hotels mit Telefon und Zentralheizung. Später führte seine Tochter Ruth Guler das Hotel mit derselben Leidenschaft wie ihr Vater – und großer Bescheidenheit. Bis zum Jahr 2013 verzichtete sie auf Internet und nahm alle Anrufe auf einem analogen Telefon mit Wählscheibe entgegen. Diese Bescheidenheit wusste auch ein gewisser Prinz Charles zu schätzen, der Ruth Guler eine gute Bekannte nannte und regelmäßig im Wynegg logierte. Ganze 15 Jahre lang suchte Ruth Guler nach einem gebührenden Nachfolger. Eines Tages hörte sie von einem jungen, leidenschaftlichen Koch, der in Klosters aufgewachsen war und zurzeit auf einer Berghütte arbeitete: Andri, einer der heutigen Betreiber.

Andri, wie kam es zur Übernahme des Wynegg durch euch drei Jungs?

Frau Guler hat mich angerufen und im dritten Satz gefragt, ob ich nicht das Wynegg übernehmen wolle. Ich war damals erst 24 und leicht überfordert. Aber ich hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, in Klosters einen Gastronomiebetrieb zu eröffnen. Zudem war mir klar, dass die Chance, ein solche Institution zu übernehmen, kein zweites Mal kommen würde. Also habe ich zugesagt.

Wie hast du Frau Guler erlebt?

Sie war eine Institution. Sie behandelte alle Gäste gleich. Ob das Fritz von der Baustelle war oder Prinz Charles. Frau Guler machte keine Unterschiede.

Auch heute herrscht im Wynegg eine besondere Atmosphäre. Mir ist aufgefallen, dass im Restaurant die Tische sehr eng beieinander stehen...

Das haben wir bewusst so arrangiert. Dadurch entstehen spannende, tischübergreifende Gespräche. Da sitzen dann schon mal Gäste in Arbeitskleidung neben britischen Gästen im Pelzmantel. Dieser Spagat ist nicht einfach, aber wir wollen die familiäre Atmosphäre im Wynegg erhalten. Dazu trägt auch unsere kleine Hotelbar bei, die für alle offen ist. Auch hier teilen sich oft Einheimische die Tische mit Gästen.

Du hast die Neugestaltung gemeinsam mit deinen Freunden Cédric und Hitsch vollzogen. Wo lagen die Herausforderungen?  

Wir haben uns Geld bei Freunden, Verwandten und Bekannten geliehen und mit Hilfe meines Vaters die gesamte Einrichtung neu gezimmert. Zusätzlich haben wir auch eine Hotelbar gebaut. Die Renovierung war anstrengend, wir haben selten mehr als drei Stunden geschlafen. Zusätzlich gab es vereinzeltes Misstrauen in der Bevölkerung: Wir waren keine Engel zu Jugendzeiten, deshalb hat man uns das Führen eines Hotels mit Restaurant und Bar nicht zugetraut. Erst nach der Eröffnung haben die Menschen gemerkt, dass wir „Macher-Typen“ sind, die anpacken können und die Sache ernst nehmen.

Wie gestaltet sich eure Vision für die Zukunft des Wynegg?

Wir wollen das Wynegg mit seiner Tradition und seinen Werten erhalten – auch zu Ehren der 2015 verstorbenen Frau Guler. So sind wir beispielsweise mit allen Gästen per Du. Das ist für viele vielleicht ungewohnt, aber am Ende ihres Aufenthalts fühlen sich die Gäste sehr wohl damit. Meine persönliche kulinarische Vision ist es, alle Gerichte im Restaurant mit frischen, regionalen Produkte zuzubereiten. Wir wollen auch die traditionellen Schweizer Küchenklassiker wie Kalbsleber mit Rösti oder Zürcher Geschnetzeltes, die es im Wynegg seit 100 Jahren gibt, erhalten. Trotzdem versuche ich, die New School-Küche mit einzubringen. In den Menüs verwende ich immer vier Hauptkomponenten, die geschmacklich aufeinander abgestimmt sind.

Würdest du sagen, die „Wiederbelebung“ des Wynegg hat sich positiv auf Klosters ausgewirkt? 

Es weht ein frischer Wind – das liegt aber nicht nur an uns, sondern genauso an anderen Gastronomiebetrieben. Die Sommerabende fühlen sich fast an wie auf einer Promenade in Italien, die Menschen sitzen wieder draußen. Wir versuchen auch bewusst mit anderen Betrieben zusammen zu arbeiten, um ein Gemeinschaftsgefühl in Klosters zu schaffen.
Besonders zu spüren ist das bei unserem sommerlichen Dorffest, der “kulinarischen Genussmeile“, die mittlerweile 3.500 Besucher zählt. Auf einem 700 Meter langen Tisch bieten die Klosterer Gastronomiebetriebe ihre Köstlichkeiten an. Wir selbst machen immer Spanferkel.

Zum Abschluss: Was hast du selbst durch die Übernahme des Wynegg gelernt, das du anderen mit auf den Weg geben kannst?

Als junger Bursche habe ich immer gesagt, ich werde in Klosters nicht alt. Zum Glück bin ich schon mit 16 Jahren für ein Jahr nach Spanien gegangen, denn dort habe ich gemerkt, wo ich hingehöre: nach Klosters. Dass ich gemeinsam mit meinen Freunden nun einen altehrwürdigen Betrieb in meiner Heimat weiterführen darf, ist für mich das größte Glück.
Jedem, der eine Vision verfolgt, kann ich raten: Sei dir bewusst, dass solch ein Projekt mit viel Arbeit und Verzicht verbunden ist. Um die Individualität zu erhalten, sollte man so viel wie möglich selber machen und nie aufhören, an seinem ursprünglichen Ziel festzuhalten.

Text: Armin Knöbl // friendship.is
Fotos: Florian Lechner // friendship.is

12. Juli 2017

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