Die Geschichten

Entwickler, Experimentierer, Erfinder

Hans-Martin Heierling produziert Maß-Skischuhe und philosophiert über Konsum und das Glück, wenig zu besitzen. 

Im kleinen Laden von Hans-Martin Heierling in Davos Dorf fühlt man sich wohl: Im Hintergrund spielt leise Radiomusik, auf den Regalen gibt es die aktuellen Skischuh-Modelle sowie handgemachte Freizeitschuhe im „Alpine Lifestyle“ zu bewundern – fabriziert aus alten Lederskischuhen. An der Wand hängen Fotos, Postkarten und Danksagungen von Profisportlern, die sich hier ihre Skischuhe haben maßanfertigen lassen. Kunden, die hierher kommen, nehmen erst einmal auf einem der minimalistisch designten Lederfauteuils Platz, um bei einer Tasse Tee oder Kaffee mit Hans-Martin Heierling ihre Anliegen und Wünsche zu besprechen, bevor es dann weiter in den Nebenraum geht, das Fitting Center: Hier werden Füße und Bewegungsmuster mit Hilfe von Druckmessplatten, Gravitationslaser & Co. höchstprofessionell vermessen und analysiert. Ein paar Wochen später fahren sie dann auch schon in ihren ganz persönlichen Skischuhen die Pisten hinunter. Und manche von ihnen ernten dabei auch Medaillen und Weltruhm.      

Hans-Martin Heierling ist der Besitzer der ältesten Skischuhfirma der Welt, und das in vierter Generation. Nach einer Unterbrechung in der dritten Generation – sein Vater hatte das Geschäft verkauft, Hans-Martin hat es wieder zurückgekauft – besinnt man sich nun wieder aufs Wesentliche: „Wir fangen jetzt wieder ganz klein an, gehen ’back to the roots’,“ so Heierling. Seit 2013 produziert das Traditionsunternehmen seinen eigenen Skischuh, den „H1“ aus einem speziellen Material namens Templast, das Heierling selber entwickelt hat: „Der Schuh verändert sich nicht, egal ob es minus 20 oder plus 15 Grad hat.“ Außerdem verfügt der H1 über ein Vibrationsdämpfungssystem aus Schweizer Eschenholz, „für deutlich mehr Tragekomfort“. Die ersten 400 Stück wurden in Zusammenarbeit mit einer Behindertenwerkstätte vor Ort umgesetzt – „der Charitygedanke ist mir wichtig“, so Heierling. Drei Jahre dauerte die Entwicklung des neuen Modells, aber auch zuvor hat Heierling mit einigen Innovationen den Skischuh-Markt belebt – wie mit der i-Flex-Technologie, die nun in Schuhen anderer Marken steckt und dort für mehr Beweglichkeit sorgt. 

Über Skischuhe aus dem 3D-Drucker und den Kunden von morgen

Der Mann im schwarzen Rollkragenpullover liebt es zu experimentieren, zu entwickeln, zu erfinden. Als orthopädischer Schuhmacher ist es ihm ein Anliegen, Schuhe herzustellen die gut tun. Als Visionär mit Geschäftssinn kennt er die Ansprüche der Kunden von morgen („Wir bieten Produkte an, die sich rundumerneuern lassen“). Als Tüftler ist es ihm die größte Freude, mit Materialien zu experimentieren („Wir waren die Ersten, die einen Skischuh im 3D-Drucker gedruckt haben“). Entwicklungen in der Technologie verfolgt er leidenschaftlich mit, künstliche Intelligenz und Robotik gehören zu seinen Lieblingsthemen, der kritische Blick auf die Entwicklungen in der Branche liegt in seiner Natur: „Ich denke, dass wir in zehn Jahren von den Ressourcen her keinen Spielraum mehr haben und dadurch auch kein sinnloses Zeug mehr produzieren werden, das man nach ein paar Monaten wegschmeißt.“ Auch der Markt werde sich ändern: „Die Industrie drückt dem Kunden keine Produkte mehr aufs Auge, sondern der Konsument wird sagen was er will – und danach wird auch produziert“, so die Einschätzung Heierlings. 

„Die einzige Konstante ist die Veränderung“ 

In der Werkstatt sieht es aus wie in einer Werkstatt, nur etwas ordentlicher. Der gelb-weiße 3D-Prototyp eines Schischuhs steht unauffällig auf einem der Regale, während seine H1-Kollegen mit weichem grauen Kunstfell gefüttert werden. Resi Stiegler sieht dabei zu – die Skirennläuferin aus den USA hängt als Poster an der Wand. Hier hat sich auf den ersten Blick wenig geändert, und das Geschäft werde, abgesehen von ein paar notwendigen technischen Anpassungen, auch so bleiben, meint Heierling. Pläne gäbe es dennoch: Das Netzwerk solle ausgeweitet und der Handel ausgelagert werden – in die Topdestinationen der USA liefert er bereits. Was man in den Räumlichkeiten jedoch nicht sehen kann sind die Veränderungen, die in der ganzen Branche in der Luft liegen: „Skifahren wird immer mehr zu einer elitären Sportart, und durch die Klimaerwärmung wird der Druck in der Branche noch zusätzlich steigen. Das ergibt Risiken, aber auch Chancen – man darf sich dem Weltgeschehen nicht verschließen“, so Heierling, der weiß, dass „die einzige Konstante die Veränderung ist“.  

Über das Glück, weniger als mehr zu haben

Dass er mit Veränderungen umzugehen weiß, hat Hans-Martin Heierling schön öfters bewiesen. Wer hätte gedacht, dass er heute wieder in Davos Skischuhe produzieren würde? Heierling wurde hier geboren, ist in der Werkstatt groß geworden. Aber er hat auch 20 Jahre in Südamerika gelebt: „Wir haben in Bolivien eine Ranch aufgebaut, mit dem Auto den ganzen Kontinent bereist, den Atlantik überquert und waren monatelang mit dem Motorrad unterwegs“, erzählt er, dessen erfinderischer Geist diese Freiheit braucht, um zu neuen Ideen zu kommen: „Man ist unterwegs unter freiem Horizont und auf einmal sieht man eine Bewegung bei einem Tier und denkt: Das könnte man auch beim Skifahren brauchen.“ Die langen Jahre auf einem anderen Kontinent haben ihn selbstverständlich geprägt, offener gemacht, vielleicht auch bescheidener: „Man besinnt sich wieder auf reelle Werte und stellt fest, dass man mit weniger Ballast glücklicher ist. Less is more!“ 

Heute lebt Hans-Martin Heierling wieder sehr gerne in seiner Heimat („Wir sind hier am Nabel der Welt und haben diese wunderschöne Natur, saubere Luft, sauberes Wasser“). Erst vor kurzem hat er ein altes Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert erworben, „da heizen wir dann wieder mit Holz ein“. Obwohl er seinen Job liebt, ist ihm ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Leben unheimlich wichtig: „Andere gehen zum Psychiater – ich verziehe mich zwei, drei Tage in die Berge“, sagt er und lacht. Und dort tankt er dann die Energie, die nötig ist, um Ideen zu finden, die Veränderung bringen. 

www.heierling.ch

Text: Martha Miklin // friendship.is
Fotos: Michael Berger; Walter Oberbramberger // friendship.is

20. Februar 2017

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