Die Geschichten

Der Oswald Aus Kitzbühel

Oswald Hochfilzer ist 36, Almbesitzer, Rinderzüchter, Papa, Ex-Profisportler und Wasserkraftwerkbetreiber in spe. Ein Getriebener, könnte man meinen. Oder?

Umtriebig und bodenständig: So würde sich Oswald Hochfilzer selber beschreiben, wenn er müsste. Aber eigentlich überlässt der 36-jährige Tausendsassa die Darstellung seines Charakters lieber anderen. Wir wollen es versuchen.  

Seine festen Schuhe stampfen in den Stall hinein, die Luft ist so frisch, dass man den Atem sehen kann. Es ist 8 Uhr 30. Oswald Hochfilzer ist wahrscheinlich seit über vier Stunden munter und hat bereits die Büroarbeit hinter sich, denn in den frühmorgendlichen Stunden schaffe er mehr als am ganzen Nachmittag. Schon sein Großvater lebte nach dem Grundsatz „Bis Mittag muss alles erledigt sein“. Er begrüßt die schwarzen Angus-Rinder mit einer Art Hallo, das er in den Stall schreit, mehrmals, wie ein Entertainer, der die Masse zum Jubeln bringt. Die Kälber schreien sofort zurück, die Großen mit kleiner Verzögerung.

Auf der Bärenbadalm

Gemeinsam mit dem Vater betreibt Oswald in Kitzbühel die Angusrinderzucht. Den Rindern geht’s gut, nicht nur dem Zuchtbullen, sie alle haben mehr Weidefläche als sie wahrscheinlich brauchen. Das Fleisch, das die Skifahrer und Snowboarder dann im Gulasch auf der Bärenbadalm auf 1870 Meter Höhe genießen ist wahrscheinlich auch deshalb so zart. Die Alm am Jochberg betreibt Oswald seit 2004, sie ist ein weiterer Familienbetrieb. Alles ist aus Holz, rundherum nur Himmel, Wolken und Berge. Aus den in der Wand eingebauten Bose-Boxen haucht die Stimme von Charlotte Gainsbourg, denn Hüttengaudi-Musi, die will Oswald nicht. Die Gäste wissen das neben dem simplen, aber hochwertigen kulinarischen Angebot – fast alles aus der Region – zu schätzen. Genau so wie die gemütlichen Polstermöbel in der Hütte und die schicken Fatboy-Sitzsäcke, auf denen sie draußen, auf der großen Holzterrasse, abhängen bevor es wieder bergab geht.

„Unser soziales Netzwerk findet auf knapp 2000m statt“

„Too much information, I feel I’m gettin lost“, singt Charlotte Gainsbourg. An den meisten Gästen geht das vorbei. Das Posten und Sharen von Pisten-Snapshots hat Priorität. „Wenn einer ins Handy schaut, dann ist das so als ob ein Hund eine Kuh anbellt, da sagst drei Mal Gulasch und der hört nix.“ – Oswald ist kein Freund von Facebook & Co.. Oder charmant-provokant formuliert, wie auf der Website: „Unser soziales Netzwerk findet auf knapp 2000m statt“. Woher diese Aversion? Vielleicht ist es ähnlich wie bei Charlotte Gainsbourg: zu viel Information. Vielleicht ist die Abneigung auch Symptom für etwas Tieferliegendes, das sich offenbart, wenn man Oswald nach seinen Werten fragt, die er schnell benennen kann: Familie, Heimat, Verbundenheit und Tradition – all das wolle er auch seinen zwei Buben, 5 und 2 Jahre alt, mitgeben, die jetzt schon gerne mit dabei sind, wenn die Eltern die Feldarbeit erledigen. Außerdem sei ihm wichtig, dass die Mama bei den Kindern bliebe, und ihnen Grenzen aufzeige – eine Laisser-faire-Erziehung könne er sich nicht vorstellen. Aber am allerwichtigsten findet Oswald, „dass man einfach normal ist. Ich mag normale Leute und jeder weiß was damit gemeint ist, das ist ja das Schöne: einfach so zu sein, wie man ist.“ Dass ein Netzwerk, das auf die Befriedigung des Selbstdarstellungstriebes abzielt, ihm zuwider ist, erscheint konsequent.

„Ich bin keiner für die Stadt“

Szenenwechsel. Auf der Wirts’Hochalm, der kleinen und hübschen Schwester der Bärenbadalm auf 1685 Meter, ist alles neu. Sie wurde erst vor einigen Monaten fertiggestellt, das Interieur ist in grau-rot gehalten, im Badezimmer mit Panoramablick findet man eine freistehende Agape-Badewanne der Designerin Patricia Urquiola, im restaurierten Bett eines der drei Schlafzimmer hat einst Kaiser Franz Josef seine Nachtruhe gefunden, und das gut riechende Holz, natürlich aus der Region, dominiert nicht nur die Sauna mit Glasfront, sondern auch sonst alles. An den Wänden hängen alte Fotos von Oswald, seinem Vater und Großvater. Wenn nicht gerade betuchte Gäste die Räumlichkeiten nutzen, übernachtet Oswald mit seiner Familie dort, auf seinem Grund, seinem Berg, dem Familienbesitz. Kitzbühel ist Oswalds Heimat. Auch die seines Vaters, und die seines Großvaters. Es ist die Heimat seiner Kinder, und die seiner Rinder. „Ich bin einfach keiner für die Stadt. Wenn in der Früh keiner ‚Griaß di’ sagt, ich eine halbe Stunde im Stau steh – dann halt ich das net aus.“ Wenn der 36-Jährige mit seiner Familie in den Urlaub fährt, dann „ist das Heimkommen mindestens genau so schön wie das Wegfahren.“ Im Sommer geht er abends laufen, im Winter macht er Skitouren. Ohne den Kitzbüheler Tourismus und Handel gäbe es „das alles“ nicht – dessen ist er sich bewusst. Ohne Kitzbühel wäre Oswald nicht Oswald. 

Alles nach Plan  

Die Rinderzucht auf der einen, die beiden Almen auf der anderen Seite – für viele wäre es damit getan. Aber in Oswalds Universum gibt es noch die Flusskrebs- und Forellenzucht, die Landwirtschaft und jetzt das neuste Ding: ein Wasserkraftwerk. Ursprünglich Sägewerk mit Wasserrecht, ist auch dieses Projekt ein Vermächtnis des Großvaters. Früher war es der Sport – Oswald war im Golf-Jugendnationalteam, wurde drei Mal Ski&Golf-Weltmeister und hatte Erfolge im Skicross-Weltcup. Man bekommt den Eindruck, Oswalds Leben sei eine Aneinanderreihung von Projekten, und weil er sich nicht entscheiden kann, macht er eben alles. Tatsächlich steckt mehr Plan dahinter als man glauben mag: „Mein Ziel ist es, diesen Familienbesitz besser weiterzugeben als ich ihn bekommen habe.“ Und der Besitz ist beachtlich. Synergien zu schaffen ist seine Strategie. Wie zum Beispiel die Landwirtschaft mit den Almhütten zu verknüpfen und in Zukunft vielleicht auch das Wasserkraftwerk miteinzubeziehen.  

Oswald und Kitzbühel sind ein perfekt eingespieltes Team. Beide sind zugleich traditionell und unkonventionell, unter Strom und entspannt, bodenständig und umtriebig. Um Oswald Hochfilzer in ein paar Worten zu beschreiben: Der Mann hat eine gute Selbstwahrnehmung. 

Text: Martha Miklin // friendship.is
Fotos: Ian Ehm // friendship.is

24. Oktober 2016

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