Die Geschichten

„Der Zweck Heiligt Nicht Alle Mittel“

David Kreiner ist Doppelweltmeister in der nordischen Kombination. Wir führten mit ihm ein kritisches Gespräch über den (Profi-)Sport und das Leben.

Wie so viele andere junge Kitzbüheler ist auch David Kreiner praktisch „auf Skiern aufgewachsen“. Allerdings war schon früh klar, dass er sich niemals in einem Wettkampf die berühmte Streif hinunterstürzen würde. Nicht, weil er nicht talentiert gewesen wäre, sondern, weil er schon als Kind mit den Skiern am liebsten nicht gefahren, sondern gesprungen ist. Darüber hinaus ist er immer schon gerne gelaufen, ebenfalls am liebsten auf Skiern. Also entschied sich Kreiner für eine Karriere als nordischer Kombinierer. Bereits mit 16 Jahren, am 14. März 1997, debütierte er im Weltcup, 2011 beendete er seine Karriere. Dazwischen liegen zwei Weltmeistertitel und ein Olympiasieg. Auch fünf Jahre nach dem Ende seiner Karriere spielt Sport noch eine wichtige Rolle in seinem Leben. Jedoch sieht er viele Dinge heute ein bisschen anders. 

David, fangen wir in deiner Kindheit an: Du sagst, schon damals hättest du oft gehört, du seist verrückt. Warum?

Ich war ein Getriebener und extrem ehrgeizig. Vielleicht auch deshalb, weil ich mit 14 Jahren zum ersten Mal neue Skier bekommen habe. Davor hatte ich immer die alten Sachen von meiner Schwester. Da war ich natürlich neidisch, aber immer nur so lange, bis wir auf der Piste waren. Denn da kam es dann darauf an, wer am weitesten springt oder am schnellsten fährt. Das war ganz interessant, weil ich begriffen habe, dass das Materielle nicht immer ausschlaggebend ist

Ein Getriebener und extrem ehrgeizig – hat sich das mit dem Rückzug aus dem Profisport geändert?

Ganz werde ich es wohl nie wegbekommen, aber ich bin schon deutlich gelassener worden. Allerdings schon während meiner Karriere und nicht erst danach. Das Wort „ehrgeizig“ ist für mich nicht mehr so positiv besetzt. Zielstrebig sein – ja! Aber der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Bei mir war es immer so: Wenn ich etwas gerne gemacht habe und mit dem Herzen dabei war, hatte ich auch Erfolg. Wenn ich mich aber selber unter Druck gesetzt und zu mir gesagt habe: „Komm schon David, da geht noch mehr!“, dann hab ich eigentlich immer eine drauf bekommen. 

„Da geht noch mehr!“ – es sind ja nicht nur Sportler, die sich immer wieder selbst unter Druck setzen und nie mit der eigenen Leistung zufrieden sind.

Zumindest als Sportler will man manche Dinge oft einfach nicht wahrhaben. Ich bin so oft an den Start gegangen, obwohl ich eigentlich krank war, und habe mir dabei gedacht: Das geht schon irgendwie. Man will einfach mit dem Kopf durch die Wand. Das nicht zu tun muss man lernen. Das hat auch mit Ehrlichkeit zu sich selbst zu tun. So gesehen war der Sport für mich eine gute Lebensschule. 

Die nordische Kombination erfordert eine enorme Vielseitigkeit. Wenn wir das Stichwort „Lebensschule“ aufgreifen – wie profitierst du heute von den Herausforderungen deiner Sportart? 

Man muss immer das große Ganze sehen. Denn auch, wenn das jetzt eine Floskel ist –, jeder hat seine Stärken und Schwächen. Zudem können Stärken schnell zu Schwächen werden und umgekehrt. Wenn jemand sehr zielstrebig ist, läuft er Gefahr, borniert oder engstirnig zu werden. Entscheidend ist für mich die Unterscheidung zwischen Fokus und Aufmerksamkeit: Wenn ich mich auf etwas total fokussiere, vergesse ich andere Dinge. Wenn ich aber die Aufmerksamkeit auf etwas lege, lege ich zwar Wert auf einen bestimmten Punkt, lasse aber das große Ganze nicht aus den Augen. 

Und in Bezug auf deine Tätigkeit als Bergführer? 

Der Bergführer muss früher aufstehen, mehr tragen und sich besser auskennen als alle anderen in der Gruppe. Und er trägt die Verantwortung für die Gesundheit der ganzen Gruppe, in Extremfällen kann es sogar um Leben oder Tod gehen. Deshalb bin ich extrem froh, dass ich gelernt habe, ehrlich zu mir selbst zu sein. Kann ich das oder kann ich das nicht? Auch das Thema „Aufmerksamkeit“ finde ich sehr spannend: Ich beobachte oft, wie Menschen miteinander reden, sich aber gar nicht wirklich zuhören. Am Berg geht das nicht. Wenn ich da jemanden frage „Alles klar?“, dann muss das auch passen. Jeder muss die Karten offen auf den Tisch legen. Dadurch entsteht eine Kommunikation auf Augenhöhe, denn da oben nützt dir der Doktor-Titel genauso wenig wie das Gucci-Tascherl. 

Warum hast du dich für die Ausbildung zum Bergführer entschieden? Was gefällt dir an den Bergen?

Wenn ich ganz ehrlich bin, war es auch ein bisschen aus egoistischen Gründen: Ich wollte einfach selber besser werden. Zudem sehe ich klassische Ausbildungen eher skeptisch. Wenn ich mir Wissen aneignen will, lese ich. Nur, weil einer einen Titel hat, heißt das noch nicht, dass der auch etwas drauf hat. Die Bergführerausbildung hingegen ist sehr praxisorientiert, das taugt mir. Das Schöne einer Bergtour ist, dass nicht nur das Ziel, also der Gipfel, sondern das Gesamterlebnis entscheidend ist. 

www.david-kreiner.at

Text: Matthias Köb // friendship.is
Fotos: Heiko Mandl // friendship.is

31. Januar 2017

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