Fast Wie Im Weltcup
Neben dem weltbekannten Hahnenkamm-Rennen mit seinen Abfahrtshelden findet in Kitzbühel mit dem Audi quattro Ski Cup ein Rennen statt, bei dem Leidenschaft weit mehr zählt als ein Platz auf dem Siegerpodest.
Er katapultiert sich aus dem Starthaus, bereit für einen wilden Ritt auf eisigem Untergrund. Trotz schlechter Sicht meistert er gekonnt die ersten Steilstücke und Sprünge. Tief in der Hocke gleitet der Läufer über den Schnee, immer schneller und rasanter wird die Fahrt. Die Zielkuppe vor Augen setzt er noch einmal alle Kraftreserven frei. Kurz vor dem Absprung erreicht er seine Höchstgeschwindigkeit: Er setzt zum Sprung an. Springt, landet, und augenblicklich verschwinden die Stöcke wieder unter den Armen. Nur noch wenige Meter bis zum Ziel. Er greift durch die Lichtschranke und bremst ab. Ein Blick in Richtung Zeittafel, auf der Digitalanzeige leuchtet die Eins. Die Menge tobt. Der Skifahrer reißt die Hände in die Luft.
Es ist der Traum eines jeden professionellen Skirennläufers, zumindest einmal im Leben ganz oben auf dem Podest zu stehen. Damit dieser Traum aber nicht nur den Profis auf zwei Brettern vorbehalten bleibt, gibt es den Audi quattro Ski Cup: Ein Skirennen für alle, die schon immer einmal Rennluft schnuppern wollten. Jeder Amateur-Skifahrer hat hierbei die Möglichkeit, sich bei einem von zehn Tourstopps in den Alpen für das große Finale in Kitzbühel zu qualifizieren. "Wobei natürlich der Spaß im Vordergrund steht", so der ehemalige Skirennläufer und Einweiser des heutigen Rennens Hans Knauß. Und man glaubt es ihm gern. Auch nach seiner aktiven Zeit im Weltcup ist Knauß' Begeisterung für den Skisport ungebrochen und "genau deswegen bin ich hier; deswegen kommen auch die Menschen, weil das Ganze einfach eine super Sache ist".
Hier, das ist Kitzbühel, seit der Einführung des Skiweltcups im Jahr 1967 Austragungsort des Hahnenkamm-Rennens, der legendärsten Abfahrt der Herren. Alle Großen dieser Disziplin sind hier an den Start gegangen, haben sich wagemutig über die Mausefalle in die Tiefe gestürzt. Und genau hier, wo sich das "Who is who" der internationalen Wintersportszene die Klinke in die Hand gibt, findet ein Rennen statt, bei dem "eben nicht alle mit 140 Sachen die Streif hinunterpreschen", lacht ein Münchner Anwalt vor dem Starthaus. Er ist schon die ganze Woche in der Gamsstadt im Skiurlaub und freut sich darüber "endlich mal wieder durch Tore zu fahren."
Ein bunt gemischtes Feld von über 50 Teilnehmern und Teilnehmerinnen, eingeteilt in verschiedene Altersklassen, hat sich zum Qualifikationsrennen auf der Kitzbüheler Ochsalm eingefunden. Der Start ist bereits erfolgt, die Stimmung ausgelassen. Zwei junge Frauen aus Wien wärmen sich am ausgeschenkten Tee auf während sie auf ihren Start warten. "Die letzten Tore sind ganz schön eng beisammen, da muss man noch einmal gut aufpassen", meint die eine. "Ich hoffe nur, die Piste hält bis ich dran komme", so die andere. Ihre Bedenken sind berechtigt: Es schneit dicht aus den tiefhängenden Wolken, und die Streckenposten haben alle Hände voll zu tun, den ergiebigen Neuschnee rechtzeitig aus der Spur zu bringen. Ein wenig abseits des Geschehens steht ein junger Mann im dunklen Skianzug, unter einem Arm ein Snowboard geklemmt, in der anderen Hand eine Digitalkamera. Tom Klocker ist ehemaliger Snowboardprofi und zählt heute zu den bekanntesten Outdoor- und Bergsportfotografen des Landes. Mitfahren wird er trotzdem nicht: "Ich bin als Fotograf hier und außerdem immer noch Snowboarder!" gibt er augenzwinkernd zu verstehen. Snowboarder dürfen beim Audi quattro Ski Cup zwar auch teilnehmen, starten aber gemeinsam mit den Skifahrern in einer Wertungsklasse.
Das Rennen ist in vollem Gange, der zweite Durchgang hat soeben begonnen. Es wird, wie im echten Weltcupzirkus, in umgekehrter Reihenfolge gestartet. Jeder der Läufer gibt sein Bestes und versucht den Rückstand aufzuholen. Einer vor ihnen, in einen auffallend bunten Overall gekleidet, stürzt kurz vor dem Ziel. Er steht wieder auf, und anstatt sich großer Enttäuschung hinzugeben fährt er jauchzend die letzten Schwünge hinab. Ein paar Stürze gehören eben genauso zu einem Skirennen wie der Pokal zum Siegespodest. Der nachfolgende Läufer, ein Pensionist aus St. Johann in Tirol, hat gerade das Ziel erreicht. Er schnallt seine dünnen, langen Skier ab, und ohne die Zeittafel zu beachten streckt er freudig die Arme in die Höhe. "Völlig egal welchen Platz ich mache - Hauptsache Skifahren!" Und damit dürfte er für den Großteil der Anwesenden sprechen. Egal ob TeilnehmerIn, Organisator oder Streckenposten - allen steht die Freude ins Gesicht geschrieben.
Thomas Morgenstern, Olympiasieger im Skifliegen, ist soeben als letzter Läufer ins Ziel gekommen und hat wie im ersten Lauf die Bestzeit abgeliefert. "Vermutlich werde ich aber aufgrund meiner sportlichen Vergangenheit von der Wertung ausgeschlossen", sagt er und setzt dabei ein breites Grinsen auf. Man möchte meinen, jemand der in seiner Karriere so viele Siege feiern durfte, hat schon alles gesehen, doch in Morgensterns Augen strahlt dieselbe Begeisterung für den Skisport wie zuvor bei Hans Knauß, dem Münchner Anwalt beim Starthaus oder dem am Sieg wenig interessierten Pensionisten. Hier wird nicht gegen die Zeit gefahren, hier wird gemeinsam die Freude an der Fahrt um die Tore geteilt. Und genau darin liegt die Faszination dieses Rennens: Nicht jeder Wettkampf braucht Gewinner oder Verlierer.
Text: Robert Maruna // friendship.is
Fotos: Heiko Mandl // friendship.is
18. März 2018