Steile Pisten Und Spione
Ein Aufenthalt in Kitzbühel machte einen nachhaltigen Eindruck auf James Bond-Autor Ian Fleming.
Wie Zutaten in einem vollkommenen Martini gehen Realität und Phantasie in den Bergen eine perfekte Verbindung ein: Man nehme eine großzügige Portion Trubel sowie wilde, atemberaubende Landschaften und füge einen charmanten, verwegenen Kerl hinzu – fertig ist der Stoff aus dem Legenden sind. So ist es im Grunde nicht verwunderlich, dass Kitzbühel, die Heimat der berühmt-berüchtigten Hahnenkamm-Abfahrt, auch jener Ort ist, an dem der berühmteste Spion der Welt das Skifahren erlernte. Natürlich dank der lebhaften Phantasie seines Schöpfers, Ian Lancaster Fleming, der durch einen Aufenthalt in dem malerischen Alpendorf zu seinen actionreichen Spionagegeschichten inspiriert wurde.
Die Geburt eines Spions
In den 1920ern, als der Wintertourismus so langsam seine Anfänge nahm, zog es eine wachsende Schar von wohlhabenden Engländern in die Alpen: Faszinierend war deren unermessliche Schönheit, unwiderstehlich der Reiz, ihre Gipfel zu erklimmen. Zu dieser Zeit fand auch der junge Ian Fleming seinen Weg nach Kitzbühel. Gerade eben war er wegen wiederholten Nichteinhaltens des Zapfenstreiches vom Royal Military College in Sandhurst entlassen worden. Die Abgeschiedenheit der österreichischen Alpen, so hoffte man, sollte ihm die Ruhe bringen, um sich gebührend auf seine angedachte Karriere im britischen Außenministerium vorzubereiten.
Seine Zeit in Kitzbühel war für den Autor wohl eine der prägendsten in seinem Leben. Denn hier passierte es, dass der umtriebige und vor allem gesellige Fleming irgendwo zwischen regelmäßigen Barbesuchen und viel Zeit auf den Pisten tatsächlich auf zwei Spione traf: Ernan Forbes Dennis, ein früheres Mitglied des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, und der britische Secret Intelligent Officer Conrad O’Brien-Ffrench. Beide Männer sollten in weiterer Sicht seine Berufskarriere in verschiedener Weise beeinflussen. Insbesondere O’Brien-Ffrench: Innerhalb kurzer Zeit zu Flemings Mentor und Vertrautem avanciert, war er wohl auch das Vorbild für die Figur des James Bond. Er inspirierte den jungen Fleming zu Geschichten wie "Im Dienste Ihrer Majestät" und zu Flemings Entschluss dem Leiter des britische Marine-Nachrichtendienstes während des, sich langsam zusammenbrauenden, Zweiten Weltkriegs zu assistieren.
Zuflucht für Freigeister
Während seiner Zeit in Kitzbühel logierte Fleming im Tennerhof, einer einfachen Pension, die von einer Österreicherin geführt wurde, einem Freigeist wie Fleming selbst. Nach der Scheidung von ihrem Gatten hatte sich Eva von Pasquali aus der Wiener Gesellschaft ins ländliche Tirol zurückgezogen, wo sie als Pensionswirtin ein unbehelligtes Leben zu führen gedachte. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass meine Großmutter den jungen Fleming getroffen hat“, sagt Luigi von Pasquali-Campostellato, ihr Enkel und heutige Besitzer des Tennerhofs, den er in ein 5-Sterne-Hotel umgewandelt hat. „Man hört viele Geschichten über Fleming’s Trinkgelage, aber schließlich war er 20 – natürlich wollte er ausgehen, ein paar Drinks nehmen und nette Mädchen kennenlernen. Es war eine ausgelassene Zeit damals, die Gäste blieben über mehrere Wochen, und jeden Abend gingen sie in Smoking und Abendkleid zum Dinner.“ Von Pasquali, der selbst streng erzogen und früh ins Internat geschickt wurde, kann die Enge, die Fleming in seiner Jugend erlebte, gut nachvollziehen – und die Befreiung, die eine Flucht ins Schreiben und das heitere Kitzbühel für den 20jährigen Briten bedeutet haben musste. Die Ablenkungen, die der Tiroler Ort seinen Gästen bot, waren für die lebhafte Phantasie des jungen Engländers ein gefundenes Fressen: Jede Skiabfahrt war ein Abenteuer, eine gerade noch geglückte Flucht vor feindlichen Angreifern – so schildern es seine befreundete und einheimische Zeitgenossen von damals.
Der Zauber von Legenden und langen Winterabenden
Um den Autor und den Charme vergangener Tage hochleben zu lassen, trifft sich jährlich eine illustre Schar von Skibegeisterten in Kitzbühel zur Ian Fleming Ski Challenge. Sie besteht aus einer langen Nacht beim Black Jack im Kitzbüheler Casino, gefolgt von einem Skirennen auf dem Kitzbüheler Horn am nächsten Morgen. Organisator Graf Tyszkiewicz, genannt „Gugu“, möchte den „Zauber der langen Kitzbüheler Nächte“ wiederaufleben lassen: „Mit Freunden am offenen Kamin sitzen, sich Geschichten erzählen, und dann tanzen gehen.“ „Ich bin kürzlich hierher gekommen um Gugu zu sehen und es war eine riesen Gaudi. Kitzbühel mit seinen wunderbar erhaltenen, pastellfarbenen Häusern im Ortszentrum ist einfach traumhaft“, zeigt sich James Wood, ein englischer Unternehmer und Teilnehmer der Challenge begeistert. Klirrende Gläser (Martinis schmecken nach einem erfolgreichen Rennen schließlich noch besser), entspannte Lounge-Musik die von den schneebedeckten Hängen widerhallt – und schon ist man mitten in der alten Zeit, als man hier noch mit Fleming anstoßen konnte. Nach dem Gelächter ringsherum zu urteilen, gelingt es ihm auch heute noch die Massen zu unterhalten...
Text: Sandra Pfeifer
Fotos: Heiko Mandl // friendship.is
22. April 2016