„Jetzt Sind Wir An Der Reihe“
Marta und Beatrice Colombati sind die neuen Gesichter des Hotel Svizzero: In vierter Generation leiten die Geschwister eine 4-Sterne-Chalet-Anlage mit Blick auf das Mont-Blanc-Gebirge. Ein Gespräch über familiäre Verantwortung, unkonventionelle Hotel-Standards und märchenhafte Details.
Das Svizzero tanzt aus der Reihe. Auch wenn in Courmayeur kein Hotel dem anderen gleicht, ist es schwer etwas Vergleichbares zu finden. Das zeigt sich etwa, wenn man auf die Details achtet. Am besten geht das, wenn man in einem der gemütlichen Ohrensessel im Lounge-Bereich Platz nimmt und den Blick wandern lässt. Dann erkennt man sie – die vielen Einzelheiten: Das uralte Hanftau im Stiegenaufgang: Früher wurde damit am Mont Blanc geklettert, heute dient es als Handlauf. Gegenüber der Treppen befindet sich eine Bar aus rustikalen Holzbalken, die einst vom Urgroßvater selbst gehobelt wurden. Der antike Fußballtisch neben dem Holzofen versprüht den Charme der 1950er-Jahre und die dunkelbraunen Holzvertäfelungen an den Wänden erinnern an ein heimeliges Berghaus. Sie alle ergeben ein Gesamtbild, das nicht einfach so passiert ist, sondern von langer Hand geplant wurde. Damit man das große Ganze spürt, welches in jedem noch so kleinen Detail versteckt liegt.
Wenn man sich hier so umsieht, überkommt einen das Gefühl, dass man in einem Szenenbild des Regisseurs Wes Anderson gelandet ist.
Beatrice: Dabei spielen seine Geschichten doch immer in der Vergangenheit.
Oder in einer Zeit, die es gar nie gegeben hat.
Marta: Ich finde seine Filme haben eher etwas Zeitloses. Sie wirken wie ein modernes Märchen.
Das könnte man auch über euer Hotel sagen.
Marta: Das nehmen wir als Kompliment.
So war es auch gedacht!
Beatrice: Wobei es ja noch nicht unser Hotel ist, die Eigentümer sind immer noch unser Vater Ludovico und unsere Mutter Donata. Sie werden es eines Tages an uns übergeben, aber bis dahin werden wir hoffentlich noch lange Zeit mit ihnen gemeinsam arbeiten.
Das „Gemeinsame“ scheint in diesem Haus ein großes Thema zu sein, das Hotel ist ja ein Generationenbetrieb. Wann seid ihr das erste Mal hinter der Rezeption gestanden?
Beatrice: Unsere Familie lebt und arbeitet hier seit über einem Jahrhundert. Unser Urgroßvater Walter Hurzeler kam in den 1920er-Jahren nach Courmayeur um nach Gold zu suchen. Er war der Sohn eines Tischlers, also zimmerte er hier ein kleines Haus, das zunächst eine Pension und später ein 2-Sterne-Hotel wurde. Nachdem das Hotel 1983 an unsere Großmutter Walda übergeben und umgebaut wurde, waren es unsere Eltern, die 2002 das Gebäude niedergerissen und ein neues Hotel im traditionellen Holzbau errichtet haben. Aufgrund der Wurzeln unseres Urgroßvaters trägt das Hotel immer noch den Namen „Svizzero“, nur haben wir heute zwei Sterne mehr auf dem Schild stehen.
Und die Geschichte dahinter verbindet die Familie damals so wie heute?
Marta: Tradition verpflichtet, das wissen wir. Weder meine Schwester noch ich hatten den Plan dieses Hotel einmal zu übernehmen. Während unserer Studienzeit haben wir mitgeholfen, das war irgendwie naheliegend. Nachdem wir dann beide viel Zeit im Ausland verbracht hatten, sind wir zurückgekommen. Nicht ausschließlich wegen des Hotels, sondern wegen diesem Ort: Die Berge, die Natur und die Menschen machen Courmayeur einmalig. Wir lieben, wo wir leben. Und das Hotel ist Teil dieser Geschichte.
Beatrice: …die wir fortan weiterschreiben wollen. Das machen wir nicht, weil es uns von irgendjemandem gesagt wurde, sondern weil wir das so wollen. Die Arbeit im Hotel, hier unten im Tal, ist für mich eine ebenso große Leidenschaft, wie das Skifahren in den Steilflanken dort oben.
Während der Hochsaison wird euch dafür aber oft mal die Zeit fehlen, oder wie steht es um eure Work-Life-Balance?
Beatrice: Könnten wir diese Frage überspringen?
Marta: Wieso?
Beatrice: Weil ich jeden Tag hier bin, während du im Winter da draußen als Skilehrerin im Tiefschnee stehst.
Aber das ist doch auch Arbeit?
Marta: Siehst du, sag ich doch immer.
Beatrice: Ja klar, diesen Winter können wir ja gerne tauschen (beide brechen in schallendes Gelächter aus). Nein ganz im Ernst, wir sind gerne hier. Und wenn man mal ein paar Stunden für sich braucht, dann finden wir hier schnell einen Weg. Wir sind ein Familienbetrieb, kein Hotelkonzern.
Du meinst im Gegensatz zu den Hotelburgen auf der anderen Seite des Tunnels in Chamonix?
Beatrice: Es ist schwierig, Courmayeur mit Chamonix zu vergleichen.
Marta: Wir sollten uns nicht mit Chamonix vergleichen – weder im touristischen Sinne noch auf einer anderen Ebene. Courmayeur ist ein ganz anderer Ort, wir haben eine völlig unterschiedliche Geschichte, hier ist alles kleiner, feiner, familiärer, wärmer und irgendwie… Im Grunde sind wir das Märchen, und Chamonix ist der Blockbuster.
Und was für eine märchenhafte Geschichte erwartet die Gäste hier im Hotel?
Marta: Ich würde sagen, es sind viele kleine Geschichten: Wir haben 28 Hotelzimmer von denen keines dem anderen gleicht. Sie sind völlig unterschiedlich in Bezug auf Größe, Ausstattung und Atmosphäre – jeder Raum erzählt etwas anderes. Das verbindende Element ist der Rohstoff Holz, so können wir dem ursprünglichen Chalet-Stil gerecht werden.
Beatrice: Im Zuge des letzten Umbaus haben sich unsere Eltern viel Zeit genommen: Traditionelle Holzstrukturen vermischen sich hier mit moderner Handwerkskunst. Wobei das Innenleben des Hotels unserer Mutter zu verdanken ist. Sie hat früher einen Design-Shop betrieben und immer schon viel Wert auf Ästhetik gelegt. Gleichzeitig war es ihr wichtig, dass alte Materialien erhalten und in neue Strukturen verwandelt werden. Sie ist in gewisser Weise die „Architektin“ des Hauses.
Und euer Vater?
Beatrice: Er ist die gute Seele des Hauses, die niemand sieht. Er arbeitet lieber im Hintergrund…
Marta: Eigentlich lebt er im Back-Office – selbst wir bekommen ihn oft tagelang nicht zu Gesicht.
Beatrice: Er kümmert sich lieber um die Geschäftsabwicklung und Buchungsvorgänge, hin und wieder trifft man ihn an der Rezeption auch an. Oder in der Küche.
Apropos Küche: Ihr bietet den Gästen ja keine klassische Halbpension an, sondern ihr verfolgt ein anderes Konzept.
Marta: Genau! Wir haben uns vor ein paar Jahren dazu entschlossen, dass wir das Restaurant für alle öffnen. Im Hotelpreis ist das Frühstück inbegriffen, das Abendessen überlassen wir den Gästen: Sie können jeden Abend frei wählen, ob sie bei uns à la carte dinieren oder auswärts essen wollen.
Beatrice: Das hat mehrere Vorteile: Wir können exklusivere Gerichte anbieten, weil wir in kleineren Mengen kochen; die Gäste sind in ihrem Urlaub nicht ausschließlich an uns gebunden, und können so mehr vom Ort erleben; und sollten sie doch die gesamte Zeit bei uns zu Abend essen, dann erhalten sie am Ende der Woche einen Rabattnachlass auf alle Speisen und Getränke.
Diese Idee stammt von euch beiden?
Beatrice: Von uns allen, große Entscheidungen treffen wir als Familie gemeinsam.
Marta: Das ist unsere Identität, so möchten wir das Svizzero weiterführen. Und im besten Fall dürfen wir diesen Gedanken an die nächste Generation nach uns weitergeben. Aber jetzt sind erstmal wir an der Reihe!
Text: Robert Maruna // friendship.is
Fotos: Ian Ehm // friendship.is
22. April 2022