Die Geschichten

„Eine Bergrettung Ist Keine Ein-Mann-Show“

Die BergretterInnen von St. Anton sind allzeit bereit – und das freiwillig und ehrenamtlich.

Sie investieren viele Stunden ihrer Freizeit, absolvieren eine anspruchsvolle Ausbildung und müssen jederzeit mit einer Alarmierung rechnen. Um ihren regulären Arbeitsplatz im Notfall schnell verlassen zu können, haben sie sich extra mit ihren Arbeitgebern arrangiert. Sie machen das freiwillig und ohne irgendeine Form der Bezahlung. Die Rede ist von den zahlreichen Bergrettern und Bergretterinnen im Alpenraum – in diesem Fall von jenen der Ortsstelle St. Anton am Arlberg. Fast 80 Mitglieder zählt diese, davon sind über 50 aktive. Wir haben uns mit Ortstellenleiter Kurt Hüttl und Einsatzleiter Ferdinand Alber getroffen, um mit ihnen über Motivation, Kameradschaft und ihre Erfahrungen zu sprechen.

Mal ganz salopp gefragt: Warum opfert man seine Freizeit und wird Mitglied der Bergrettung?

Kurt Hüttl: Schwer zu sagen, es ist wohl eine Kombination aus Liebe zu den Bergen und dem Wunsch zu helfen.
Ferdinand Alber: Ich denke, die Bereitschaft helfen zu wollen ist ganz entscheidend. Wenn du diese Leidenschaft nicht hast, machst du das nicht.

Es gibt in St. Anton ja auch die Pistenrettung. Welche Aufgaben hat im Vergleich dazu die Bergrettung?

Hüttl: Im Winter sind es in erster Linie Lawineneinsätze, zu denen wir gerufen werden. Aber auch wenn jemand nach 17:00 Uhr, also nach dem regulären Skibetrieb, im Skigebiet stürzt und sich verletzt, fällt das in unsere Zuständigkeit. Hinzu kommen Winter wie Sommer Sucheinsätze und verschiedene Bergeeinsätze von in Not geratenen Personen, vor allem dann, wenn der Hubschrauber nicht fliegen kann. Auch bei diversen Naturkatastrophen sind wir unterstützend im Einsatz. Zusätzlich zu unseren Kernaufgaben versehen wir sehr viele Ambulanzdienste bei verschiedensten Sportveranstaltungen (Skirennen, Mountainbikerennen, Bergmarathon …) in der Gemeinde.

Dem Aufgabengebiet entsprechend ist auch die Ausbildung sehr anspruchsvoll.

Alber: Inzwischen schon. Das hat angefangen zu der Zeit, als wir zur Bergrettung (Anm.: zwischen 2000 und 2002) gekommen sind. Davor gab es natürlich auch eine Ausbildung, aber die hat man hauptsächlich bei der Ortsstelle gemacht. Mittlerweile läuft das alles sehr professionell und einheitlich über das Ausbildungszentrum Jamtal der Bergrettung Tirol – und das ist auch gut so! Ohne gute Ausbildung geht heute gar nichts mehr.

Wie läuft diese ab?

Hüttl: Man ist zuerst ein Jahr in der Ortsstelle als Anwärter tätig, eine Art Probejahr. Hier lernt man die Basics. Anschließend macht man die Anwärterüberprüfung, die von den Ausbildnern der Landesleitung Tirol abgenommen wird. Wer diese besteht, wird zur Grundausbildung zugelassen. Im Rahmen dieser absolviert man einen Winter- und einen Sommerkurs inklusive medizinischem Grundkurs im Ausbildungszentrum Jamtal. Beide Kurse schließen mit einer Überprüfung ab. Wer diese besteht, ist ausgebildetes Bergrettungsmitglied und kann freiwillig noch zahlreiche Spezial- und Fortbildungskurse im Ausbildungszentrum besuchen. Daneben sind sechs Übungsbesuche innerhalb der Ortsstelle pro Jahr Pflicht, um ein einsatzfähiges Bergrettungsmitglied zu sein.

Sämtliche Mitglieder der Ortsstelle St. Anton machen das freiwillig – wie sieht der Ablauf bei einer Alarmierung aus?

Alber: Wir alle haben mit unseren Arbeitgebern vereinbart, dass wir im Falle einer Alarmierung in den Einsatz gehen können – sofern es irgendwie möglich ist. Wir Einsatzleiter erhalten von der Leitstelle Tirol eine SMS mit der Bitte um Rückruf. Dann besprechen wir, was los ist und legen einen Treffpunkt fest. Anschließend kriegen alle Mitglieder von der Leitstelle eine SMS mit einer Kurzinfo und dem Treffpunkt. Jeder, der Zeit hat, kommt so schnell wie möglich dorthin. Zudem fahren zwei oder drei in die Zentrale, besetzen das Funkgerät und holen das Bergrettungsfahrzeug.

1961 gegründet, hat die Bergrettung in St. Anton eine große Tradition – ist es auch eine Ehre bei der Bergrettung zu sein?

Hüttl: Also ich bin stolz darauf. Und ich denke, das geht den meisten so, deshalb haben wir auch eine tolle Kameradschaft. Die brauchst du auch, denn eine Bergrettung ist keine Ein-Mann-Show. Du benötigst die ganze Mannschaft, vom Alpinisten bis zu dem, der schaut, dass wir nach dem Einsatz etwas zu essen haben.

Spielt eine gute Kameradschaft auch bei Einsätzen eine wichtige Rolle?

Alber: Als Einsatzleiter muss man die Kollegen einschätzen können und wissen, wie man sie einsetzen kann. Das geht natürlich viel besser, wenn man sich kennt. Deshalb machen wir neben zahlreichen Übungen auch monatliche Bergrettungsstammtische mit kleineren Schulungseinheiten sowie Gemeinschaftstouren in der näheren und entfernteren Umgebung.

Statistisch gesehen, muss ein Verschütteter innerhalb von 15 Minute aus einer Lawine geborgen werden. Die Chancen auf eine Lebendbergung durch die Bergrettung sind daher leider recht gering.

Hüttl: Ja, das muss man so sagen. Bei einem Lawinenunglück ist meistens die Kameradenrettung, also die Rettung durch einen Begleiter, das einzige, das hilft. Wir brauchen ab der Alarmierung rund 15 bis 30 Minuten bis wir auf der Lawine sind - wenn wir mit dem Hubschrauber zur Lawine gebracht werden können. Ansonsten ist es nicht ungewöhnlich, dass die Bergrettung einen Lawinenkegel erst nach 60 bis 90 Minuten erreicht.
Alber: Für eine Lebendrettung durch die Bergrettung muss schon alles zusammenpassen – also, dass der Verschüttete irgendwie in einer Lufthöhle liegt und eine Top-Ausrüstung hat und so weiter.

Kurt Hüttl

Das sind ja durchaus belastende Situationen – wie geht man damit im Verein um?

Hüttl: Das Wichtigste ist eigentlich das Banale: Dass man sich danach zusammensetzt und den Einsatz bespricht, dass man miteinander redet. Da kann man schon vieles verarbeiten. Zusätzlich haben wir die Möglichkeit, bei Bedarf ein professionelles Kriseninterventionsteam vom Roten Kreuz hinzuzuziehen.

Geschieht dies nach jedem Einsatz?

Alber: Eine Nachbesprechung machen wir eigentlich immer. Weil Hunger und Durst hat man sowieso und dann kann man auch alles besprechen: Was war gut? Was kann man verbessern? Was belastet mich? Das Kriseninterventionsteam wird bei Bedarf hinzugezogen.

Würdet ihr sagen, dass die Menschen heute – auch weil sie zum Teil über gute Ausrüstung verfügen – risikobereiter geworden sind?

Hüttl: Natürlich besteht die Gefahr, dass sich einer denkt: „Ok, normalerweise würde ich das nicht fahren, aber ich hab’ ja eh einen Airbag dabei. “ Generell glaube ich aber, dass durch die gute Ausrüstung schon ein Teil der Unfälle vermieden werden kann oder dass Unfälle zumindest glimpflicher ausgehen. Voraussetzung ist natürlich, dass man sich mit der Sicherheitsausrüstung auch intensiv beschäftigt und das Handling blind beherrscht. Sonst ist die teuerste Ausrüstung wertlos. Ob die Leute risikobereiter geworden sind, ist schwer zu beurteilen. Mir kommt eher vor, dass die Menschen generell etwas das Gespür für die Natur verloren haben, ungeduldig sind und sich und ihre Fähigkeiten oftmals überschätzen. Die sehen Freeride-Filme, wo die Profis eine super Line im unberührten Gelände fahren und denken sich: „Das muss ich auch machen.“ Alles muss noch steiler, noch extremer sein. Mit hinein spielt da auch eine Art „Vollkaskomentalität“: Die Menschen verlassen sich darauf, dass sie im Falle einer alpinen Notlage einfach das Handy rausziehen können und innerhalb kurzer Zeit Hilfe eintrifft. Diese Einstellung ist bedenklich, denn es kann durchaus passieren, dass wir aufgrund der objektiven Gefahren gar nicht oder erst verzögert den Einsatzort erreichen. Auch gibt es noch genügend Plätze in den Bergen, wo es keinen Handyempfang gibt.

Ferdinand Alber

Kann man da als Bergrettung auch präventiv arbeiten?

Alber: Unsere Aufgabe ist in erster Linie die Rettung. Präventiv arbeiten, im Sinne von Schulungen und Aufklärung ist eigentlich die Aufgabe der verschiedenen alpinen Vereine. Für uns ist dies eher ein Randthema. Aber natürlich sind wir auch präventiv tätig, beispielsweise in dem wir bei verschiedenen Veranstaltungen dabei sind, wo es darum geht, die Kameradenrettungstechniken und auch Erste-Hilfe-Maßnahmen zu vermitteln. Die Sicherheitsausrüstung und die Rettungstechniken optimal zu beherrschen, ist ebenfalls eine Art Prävention.  

Text: Matthias Köb // friendship.is
Fotos: Heiko Mandl // friendship.is

3. März 2017

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