In Der Ruhe Liegt Die Kraft
Sommer für Sommer betreut Franz Hiesel 40 Tiere auf Tirols einziger Stieralpe. Gelassenheit ist seine beste Begleiterin.
„Jetzt melden sich die Buben!“ sagt Franz Hiesel und meint damit die Stiere, die ihren Sommer bei ihm auf der Gampernun-Alpe in Flirsch bei St. Anton am Arlberg verbringen. Von überall her bringen die Bauern ihre Zuchtbullen auf die einzige Stieralpe Tirols: aus dem Zillertal, aus Vorarlberg und manchmal sogar aus Südtirol. Kein Weg ist den Bauern zu weit, wenn ihre Stiere nur im Herbst wieder fit und bereit zur Besamung sind.
Franz Hiesel sitzt vor der kleinen Hütte, das Fernglas um den Hals gehängt. Sein weißer, buschiger Bart leuchtet in der Sonne und bildet einen scharfen Kontrast zu seinen braun gebrannten Armen. Er verströmt Ruhe und Gelassenheit, und das in einer Umgebung, in der über 40 Stiere Energie für einen Winter im Tal sammeln. Geballte Kraft und Testosteron müssen nicht immer unkontrollierten Tatendrang bedeuten.
Die Alpe gehört 15 Gemeinden aus der Umgebung gemeinsam - Wie wird man Alpobmann von so einer Alm?
Franz Hiesel: Ich hab’ mich beworben und sie haben mich genommen. Die ersten drei Jahre hab’ ich mit einem alten Hirten hier verbracht. Der hat mir alles beigebracht. Dann hat er sich den Fuß gebrochen und ich bin dagestanden und hab gesagt: Dann muss ich’s halt alleine machen. Und seitdem bin ich hier oben.
Sie sind den ganzen Sommer alleine auf der Alm? Fühlt man sich da nicht einsam?
Franz Hiesel: Nein! Man hat ja die Berge, man hat die Tiere. Allein schon diese Aussicht, diese Kulisse. Hier oben hab’ ich meine Ruhe und eine Aufgabe. Das ist wichtig. Manchmal versteckt sich ein Stier und ich such ihn den ganzen Tag. Und dann muss man Äste aus dem Weg schaffen, Steine klauben, und den Weg instand halten. Es gibt immer etwas zu tun. Und dann kommen ja auch immer wieder meine Frau und jemand aus dem Tal zum Helfen herauf.
Nach 19 Jahren auf der Gamperun-Alpe: Würden Sie es wieder tun?
Franz Hiesel: Ich bereu' schon, dass ich mit 57 in Pension gegangen bin. Ich war im Service-Dienst bei einer Heizungsfirma und dann hat’s geheißen, wir müssen jetzt alles mit dem Computer machen. Da hab ich gesagt, für’s Rechnungen schreiben sollen sie einen Jungen anlernen. Und heute denk ich, man ist schon wahnsinnig abhängig von der ganzen Technik und ich hätte das schon noch lernen sollen. Jetzt staun ich halt darüber, weil ich es nicht begreife. Aber ich staune auch über all das Schöne hier oben und verbring meine Zeit mit einer großartigen Aufgabe.
Gründlich und gewissenhaft meistert Franz Hiesel diese Aufgabe. Immer wieder sorgen auch Lawinen und Unwetter für zusätzliche Arbeit. Einmal im Jahr kommen die Bürgermeister aller 15 Gemeinden herauf zur kleinen Hütte und besprechen, was im nächsten Jahr zu machen ist.
Ist die Alm in all den Jahren auch zu Ihrer Alm geworden?
Franz Hiesel: Ich hab’ von Anfang an gesagt: Ich möchte die Alpe so betreuen, wie wenn sie mir gehören würde. Weil dann kann ich sagen: Jetzt ist’s gut, jetzt passt’s für mich. Weideverbesserung ist ganz wichtig, aber ich hab’ auch bei der Hütte ganz viel gemacht. Ein neues Dach hat rauf müssen, ein neuer Herd rein und eine Solaranlage hab’ ich jetzt auch. Ich hab’ über die Jahre noch nie etwas gehabt, wo jemand gesagt hat, nein, das darfst du nicht machen, Franz. Sie haben vollstes Vertrauen.
Vertrauen. Ist das auch bei den Stieren wichtig?
Franz Hiesel: Passieren kann immer etwas, aber ich geh auch nicht einfach ohne zu denken über die Weide. Ich kenn die Tiere und sie erkennen mich an meinem Bart. Außerdem rede ich ständig mit ihnen. „Bub, wie geht’s dir? Hast die Füßlein noch gesund? Hast kein Bauchweh?“ Bei mir machen sie eigentlich nichts mehr. Nur wenn ein Fremder kommt, der anders ausschaut als ich, dann können sie schon anfangen zu scharren und zu brüllen.
Ist Ihnen nie etwas passiert?
Franz Hiesel: Einmal ist einer auf mich los und dann hab’ ich wollen ins Bachbett springen und bin irgendwie über den Bach auf die andere Seite geflogen. Drei Tage später hat mich meine Frau gefragt, woher ich all die blauen Flecken hab’. Da hab’ ich erst gemerkt, dass er mich doch erwischt haben muss. Durch den Schwung ist mir das in dem Moment gar nicht aufgefallen.
Über eine Tonne wiegt der schwerste Stier auf der Alpe. Franz Hiesel erzählt beeindruckt von der Kraft seiner Tiere: Einmal habe ein Stier einen ganzen Felsblock verrückt. So etwas flößt auch dem erfahrensten Hirten Respekt ein.
60 Hektar groß ist das Weideland, und noch dazu bewaldet. Wie behalten Sie da den Überblick?
Manchmal bin ich den ganzen Tag nur unterwegs. Das hält mich fit, ich nehme jeden Sommer sogar ein paar Kilo ab, weil ich so viel gehe. Weil ein Mal pro Tag möchte ich jeden Stier schon sehen. Ein Mal auf jeden Fall und wenn’s zwei Mal ist, dann ist’s mir noch lieber.
Text: Elisa Heißenberger // friendship.is
Fotos: Florian Lechner // friendship.is
21. Oktober 2016