VERWANDLUNGEN VON GRAU IN KUNST

Crans Montana Art  1

Street-Art am Berg: Beim Vision Art Festival machen Künstler aus Betonklötzen Graffiti-Kunstwerke. Sie fügen sich in die Natur ein, spielen mit dem Licht.

Wenn man ins Ortgebiet von Crans-Montana kommt, fallen nicht nur die Seen auf, die, einer hinter dem anderen, das Ortsbild prägen. Man kommt auch an einem Hotel vorbei, an dessen exponierter Seitenwand Roger Moore nicht zu übersehen ist – dort prangt nämlich ein meterhohes Portrait des Schauspielers. Er hat hier, im hochgelegenen Ort mit der guten Luft, seinen Lebensabend verbracht. Bis zu seinem Tod ist er Crans-Montana treu geblieben. Das Grafitti ist eines von 20 Arbeiten, die im Ort und in den Bergen ungenutzte Flächen in lebendige Kunstwerke verwandeln. Sie entstehen während des Vision Art Festivals – jener Woche im Sommer, in der sich Street-Art-Künstler aus aller Welt (Künstlerinnen gibt es in diesem Bereich nicht so viele) in Crans-Montana einfinden, um farblose Gebäude, Bergbahnstationen oder Hausfassaden mit Farbe und guten Ideen von Tristesse zu befreien.

„Es ist faszinierend, wie man mit ein bisschen Farbe ein ganzes Gebäude verändern kann,“ sagt Gregory Pages, Initiator des Festivals, das seit 2015 jährlich stattfindet. Die Idee dafür hatte er eines Tages am Sessellift auf dem Weg hinauf zur Bergstation Cry d’Er. „Die Station war damals nur ein einzelner Betonblock.“ Da fielen ihm die Street Art-Bilder ein, die er auf seinem letzten Paris-Trip gesehen hatte. Er fragte bei den offiziellen Stellen nach, ob sich da etwas machen ließe und bekam das OK für zwei Testbilder. Als Betreiber einer Galerie für zeitgenössische Kunst hatte er Kontakte zu Urban Art-Künstlern, die die ersten beiden Werke schufen: der US-Amerikaner Hebru Brantly und Icy and Sot, zwei Brüder aus dem Iran. Die Bilder kamen erstaunlich gut an; Gregory hatte mit mehr Gegenwind gerechnet. Der Wind kam aber von der anderen Seite und ermöglichte es ihm und seinem Team, schon bald Edition 1 des Vision Art Festivals umzusetzen.

KUNST X NATUR
In Gregorys Wohnung hängt sogar an den Badezimmerwänden Kunst, und vom kleinen Balkon mit den großen Fensterflächen aus offenbart sich das mächtige Bergpanorama von Crans-Montana. Kunst und Natur gehörten für ihn schon immer zusammen. „Das ist mein erstes Bild“, sagt er und zeigt auf ein orangefarbenes Quadrat an der Wohnzimmerwand. „Ich habe es von einem Künstler bekommen, als ich sechs Jahre alt war. Er hatte eine Wette gegen mich verloren.“ Sein Bruder und er seien im Galeriewesen aufgewachsen, erzählt er. Der deutsch-französische Vater führte in den 1980er Jahren eine Galerie in Deutschland, wo Gregory aufwuchs, seine schweizerisch-iranische Mutter war kunstaffin und auch die Großeltern waren „alle Kunstsammler“. Die Winter verbrachten sein Bruder und er bei den Großeltern in Crans-Montana, wo Gregory als Zweijähriger skifahren lernte. Die Kunst und die Berge waren für ihn so natürlich wie für andere Kinder der Sandkasten und das Ballspielen. Nach seinem Politikstudium zog Gregory ganz nach Crans-Montana, wo er auch bleiben sollte. Nur der Politik wandte er bald den Rücken zu, und er kehrte zurück zur Symbiose aus Natur und Kunst: In der Wintersaison lehrt er Menschen das Skifahren, bevor es im Frühling dann mit der Planung des Festivals losgeht.

CRANS-MONTANA UND DIE KUNST
Anfang des 20. Jahrhunderts kamen vor allem Lungenkranke zur Rehabilitation nach Crans-Montana. Der Ort auf 1.500 Meter über dem Meer etablierte sich zuerst als Kurort und dann, in weiterer Folge, als Tourismusdestination. Dabei spielte unter anderem Dr. Stephani, der Urvater der Kuranstalten, eine Rolle: Die Fotos, die er von seinem Ort machte, zogen Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt an. Der berühmte Schweizer Maler Ferdinand Hodler kam vor über 100 Jahren hierher, um seinen tuberkulosekranken Sohn zu besuchen, dabei malte er zwölf Bilder von den Seen. „Eines davon wurde bei Christie’s für neun Millionen verkauft,“ erzählt Gregory. „In den 20ern, 30ern sind viele Leute aus Paris, Prag oder Holland wegen des Lichts und des Profils hierhergekommen. Leon Keer, ein holländischer Street-Artist, hat gesagt, dass das Licht und die Atmosphäre ihn über Jahre in seiner Farbwahl inspiriert hätten.“

STREET-ART OHNE STRASSEN
Das Licht ist hier tatsächlich besonders. „Allein der Sonnenuntergang ist von den Farbkombinationen und den Kontrasten her nie gleich,“ sagt Gregory. Viele Künstler, die aus der Stadt kommen, würden ihre Ideen an die Gegebenheiten anpassen müssen, weil es eben etwas anderes sei, an einem der sonnigsten Orte der Welt auf 2.500 Metern zu malen als in der Pariser Metro. Ein wichtiger Punkt bei der Gestaltung sei, dass sich die Kunstwerke in die Natur einfügen, „dass die Künstler die Betonklötze genauso schön machen wie die Natur, die sie umgibt.“ Wobei die Natur viele Gesichter hat. Ein Bild wirkt ganz anders, wenn es von Grün und Sommerlicht umgeben ist, als wenn es in Schnee gehüllt ist. „Der Faktor des Sonnenlichts ist viel höher als auf Meereslevel,“ so Gregory weiter, „und wir haben zwischen Winter und Sommer bis zu 70 Grad Temperaturunterschied, daher nutzen sich die Farben auch schneller ab.“ Deshalb würden die Kunstwerke, wenn sie nicht mehr schön anzusehen seien, auch wieder übermalt – ganz nach dem ursprünglichen Graffiti-Gedanken.

Mittlerweile würde das Team pro Jahr um die 450 Bewerbungen bekommen, viele über Instagram, obwohl es gar keine Ausschreibung gibt und jedes Jahr nur zehn Street-Artists dabei sein können. Das Vision Art Festival hat sich in der Szene herumgesprochen. Die Sommerwoche, die sie in Crans-Montana verbringen, sei für alle Künstler etwas Besonderes. Freundschaften würden entstehen, und oft kämen die Artists als Touristen zurück, nicht nur, um festzustellen, was die Zeit mit den Farben gemacht hat, sondern auch wegen der Berge, des „Spirits“ und des Lichts, das hier, im „einzigen Museum der Welt, das du zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit den Skiern oder mit dem Auto besuchen kannst“, eben ganz besonders ist.

Text: Martha Miklin
Photos: Sophie Kirchner // friendship.is_

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