Die Geschichten

„Es Geht Nicht Nur Darum, Wer Am Schnellsten Runterfährt“

Warum der Ski-Club Arlberg mehr als ein Sportverein ist.

Wenn man uns vor diesem Interview gefragt hätte, was das vorrangige Ziel eines Skiclubs ist, hätten wir geantwortet: möglichst viele Spitzenläufer hervorbringen. Diesbezüglich hat der Ski-Club Arlberg auch viele Erfolge vorzuweisen, man denke nur an Skilegenden wie Trude Jochum-Beiser, Egon Zimmermann, Othmar Schneider, Karl Schranz, Patrick Ortlieb, Mario Matt und viele andere, die bis dato insgesamt 83 Medaillen bei FIS-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen einfuhren. Dazu gesellen sich noch aktive Top-Sportler wie Juniorenweltmeisterin Nina Ortlieb, Freeride-Doppelweltmeisterin Nadine Wallner oder Freeride-Vizeweltmeisterin Lorraine Huber. Nach unserem Interview mit Daniel Huber, dem Jugendwart der Ortsstelle Lech des Ski-Club Arlberg, wissen wir aber: Medaillenerfolge sind eine ausgesprochen wichtige Sache, aber nicht das einzige Ziel. Ein Gespräch über die Förderung von Talenten, Persönlichkeitsbildung und die gesellschaftspolitische Bedeutung eines Skiclubs in einem Ort wie Lech Zürs am Arlberg.

Als Jugendwart und -Trainer begleiten sie die Kinder über einen sehr langen Zeitraum, während eines sehr prägenden Lebensabschnitts. Hat man als Trainer auch eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Persönlichkeitsbildung?

Daniel Huber: Ich denke schon, denn wir sehen eben nicht nur den sportlichen Erfolg. Wenn eine Karriere bis zur Goldmedaille bei Olympia führt, ist das natürlich gewaltig. Dennoch sind wir überzeugt – und das betone ich bei jeder Gelegenheit – dass die Zeit, welche die Kinder beim Sport verbringen, extrem wertvoll ist. Unabhängig davon, wie sportlich erfolgreich diese verläuft. Wenn man lernt, diese jungen Teilnehmer zu "lesen", ihre Stärken erkennt und diese fördert, ist der Sport eine tolle Lebensschule. Von dieser Ausbildung profitiert ein Ort wie Lech auch später noch – egal ob sie jetzt Skiprofis werden oder etwas ganz anderes machen. Ich würde sogar sagen, wir nehmen auch gesellschaftspolitisch eine wichtige Rolle ein.

In welcher Form?

Daniel Huber: Hier am Arlberg hat alles damit begonnen dass wir Leute hatten, die gut skifahren konnten und das anderen Menschen gezeigt haben. Das Skifahren ist Teil unserer Lebenskultur, es gehört zu unserer Art zu leben. Das möchten wir den jungen Menschen vermitteln, egal ob sie später Skifahrer, Rechtsanwälte oder Hoteliers werden. Vielleicht kommt jemand irgendwann einmal in eine Position, in der er oder sie relevante Entscheidungen für den Ort treffen muss – dann ist es gut, wenn ein Grundverständnis für den Wintersport vorhanden ist. Denn die Wintersportkompetenz ist und bleibt entscheidend für das gesamte Funktionieren eines Skiortes.

Derzeit sind rund zwei Drittel der „jungen Lecher“, also rund 90 Kinder und Jugendliche, Trainingsmitglieder. Warum ist der Ski-Club in Lech so beliebt? Wie erreicht man so eine Stellung?

Daniel Huber: Indem man eben nicht nur einzelne Supertalente unterstützt, sondern in die Breite geht. Wir haben mittlerweile sechs Gruppen – im Volksschulalter gibt es die „Rookies“, die „Speedies“ und die „Tornados“. Danach können die Kinder frei wählen zwischen drei verschiedenen Richtungen: dem klassischen Rennlauftraining, dem Alpintraining mit Fokus auf Skitechnik im Allgemeinen sowie das New School-Training mit einem Freestyle-Schwerpunkt. So können sich die Kinder das herausnehmen, was ihnen am besten gefällt. Zudem schaffen wir auch ein Angebot für jene, die sich nicht für den Rennlauf interessieren, aber trotzdem am Ball bleiben wollen. Und natürlich ist es auch kein „Entweder/Oder“, man kann diese Bereiche gut verbinden, wodurch die „Nimmersatten“ auch die Möglichkeit haben, noch mehr zu machen. Momentan funktioniert es sehr gut, aber man darf keinesfalls nachlassen – denn es gibt für Kinder und Jugendliche mittlerweile einfach sehr viele andere Angebote.

Die mitunter auch weniger kostspielig sind als Skifahren.

Daniel Huber: Das stimmt. Zum Fußballspielen brauchst du Schuhe und Schienbeinschoner und los geht’s. Beim Skifahren brauchst du Ski, Helm, Stöcke, Schoner und so weiter – das kann schon zur finanziellen Belastung werden. Deshalb versuchen wir, das Skitraining vom Material her recht konservativ zu halten, sprich: Bis sie 13, 14 Jahre alt sind, also bis zum Übergang in den Schülerbereich, brauchen die Kinder nicht mehrere Paar Ski gleichzeitig – also einen für Slalom, einen für Riesenslalom, etc. Die Umstellung auf professionelles Material schaffen sie dann ohnehin sofort. Neben dem finanziellen Aspekt geht es dabei auch um die körperlichen Belastungen. Wenn du den Kids richtig gutes Material gibst, fahren sie die Kurven gleich richtig brutal und es wirken schon früh extreme Kräfte auf den Körper. Hier möchten wir unsere Verantwortung wahrnehmen und unsere jungen Skifahrer schützen. Man kann auch mit weniger aggressivem Material einen Rennsportaufbau vermitteln.

Ab welchem Alter erkennt man ein echtes Talent?

Daniel Huber: Ob einer ein guter Skifahrer ist, erkennt man sehr früh, dafür muss man nicht einmal ein ausgebildeter Trainer sein – trotzdem ist es unmöglich vorherzusagen, wie sich ein solches Talent entwickelt. Manche fahren im Schülerbereich alles in Grund und Boden, verpassen dann aber irgendwie den Anschluss. Andere gewinnen in dieser Zeit nicht einen einzigen Pokal und in der Jugend geht ihnen plötzlich der Knopf auf. Das wichtigste ist die Freude an der Sache. Wenn man mit Begeisterung dabei ist, kann alles gelingen.

Wie schafft man es, die Begeisterung von Kindheitstagen bis zum Jugendalter aufrecht zu erhalten?

Daniel Huber: Es geht nicht nur darum, wer am schnellsten runterfährt, man muss auch andere Talente entdecken. Der eine hat vielleicht eine Begabung, die anderen zu unterhalten, ein anderer ist gut darin, seinen Kollegen zu helfen. Wenn du so etwas erkennst, kannst du den Kindern einen Anhaltspunkt bieten und ihnen helfen, dass sie ihren Platz in der Gruppe finden. Das gelingt uns zwar nicht immer, aber doch sehr oft. Konzentriert man sich nur auf die herausragenden Talente im sportlichen Bereich, bringt man diese zwar weiter, dafür bleibt der Rest auf der Strecke.

Der Ski-Club Arlberg hat insgesamt über 8000 Mitglieder aus 64 Nationen und zählt zu den ältesten und traditionsreichsten Ski-Clubs der Welt. Kann man diese Verbindung aus Tradition und Innovation als Spiegelbild der Kultur und des Lebens am Arlberg bezeichnen?

Daniel Huber: Ja, das würde ich schon so sehen. Offenbar können sich einfach sehr viele Menschen mit unseren Werten identifizieren. Ein Teil der Mitglieder mehr mit der Geschichte, andere sind Förderer, die sich mehr mit der gegenwärtigen Situation auseinandersetzen. Das ist auch sehr wichtig, denn wir wollen nicht in der Vergangenheit leben. Wir wollen die Geschichte mitnehmen, aber sie auch selbst weiterschreiben.

Ski-Club Arlberg

Interview: Matthias Köb // friendship.is
Fotos: Heiko Mandl // friendship.is

7. April 2016

Lesen Sie die Geschichten von