Die Geschichten

Du Kannst Nur Das Leben, Was Du Selber Bist

Wie man durchs Brotbacken den Gemeinschaftssinn eines ganzen Dorfes stärkt, weiß Bäckermeister Clemens Walch in Lech Zürs.

Das Brot von Clemens Walch in Lech Zürs schmeckt nicht nur wegen seiner naturbelassenen Zutaten anders. Es trägt auch die ortstypische DNA in sich, die Prägung von Ausdauer und Selbstbewusstsein. Und davon besitzt der Bäckermeister und Hotelier sehr viel, denn er ist einer, der sich gerne an großen Projekten festbeißt. In seiner Backstube erzählt Clemens Walch, warum es sich lohnt, für etwas zu kämpfen, auch wenn es Jahrzehnte dauert.

Sechs Uhr morgens in der Backstube: Aus dem Radio tönt stimmungsmachende House-Musik. Gutaussehende junge Männer und Frauen kneten Teig und formen diesen zu Brot und Kleingebäck. Ein paar Tattoos kommen auf einigen ihrer Oberarme zum Vorschein. Doch wir sind nicht in Portland oder Williamsburg. Wir sind in Lech Zürs, wo die Leidenschaft zum echten Brotbacken schon seit 30 Jahren besteht. 
Für Bäckermeister Clemens Walch ist das der normale Alltag. Ausgesucht hat er sich den Beruf nicht. Der wurde damals von den Eltern vorbestimmt, um den Fortbestand des Betriebes - und der beeindruckenden Familiengeschichte - zu wahren. Dieser nahm mit Großmutter Filomena Walch im Haus Gotthard mit Backstube, Café, acht Fremdenzimmer und einer Gemischtwarenhandlung seine Anfänge. Damit fand die junge und geschäftstüchtige Witwe einen Weg, ihre vier Kinder großzuziehen. „Brot verdirbt nicht, das kann man auch hart essen”, war ihre Strategie. Mit Weitblick hat sie das aufgebaut, was Clemens Walch heute sein Erbe nennt. Dieses noch besser an seinen Neffen zu übergeben, ist Teil seiner Mission, die sich bis nach New York herumgesprochen hat.

Wasser, Mehl und Zeit

Trotz seines vermeintlich vorbestimmten Lebensweges sind die unendliche Begeisterung und das Wissen von Clemens Walch der beste Beweis dafür, dass sich einem die Leidenschaft für etwas während des Tuns offenbart. Immer an neuen Entwicklungen interessiert, hat er den Leitsatz seiner Großmutter noch sehr viel weiter kultiviert. Die boomenden Trends um die Rückbesinnung auf Natürlichkeit und Regionalität hat er schon sehr früh erkannt. Und so hat er bei der Übernahme der Bäckerei vom Vater die Semmelanlagen durch Handarbeit und Heißluftbacköfen ersetzt und die industrieüblichen Backmittel durch einen von ihm speziell entwickelten, „schon seit 1000 Jahren bewährten” Sauerteig. Das Mehl mischt er selbst. 
Clemens Walch geht es nicht darum, große Mengen zu produzieren, sondern für den Ort den bestmöglichen Anspruch zu halten. Dafür braucht man Zeit, denn wahre Qualität gedeiht und kommt nicht auf Knopfdruck aus dem Automaten. Der Teig wird am Vortag produziert, weil seine enzymatische Tätigkeit eine wichtige Rolle spielt. Und das, erklärt Clemens Walch, sei eine chemische Veränderung, die das Getreide bekömmlicher macht für den Magen und den Geschmack. 
Dann nimmt er uns mit nach draußen zum vorgeheizten Holzofen, wo er die Laibe für die täglichen Bestellungen in den Ofen schiebt. „Eigentlich braucht man nichts anderes als Wasser, Mehl und Zeit.“ In ein paar Stunden wird der feine Brotgeruch durch den Ort ziehen.

Ein echter Lecher 

Das Bewusstsein darüber, wie wichtig die Zeit, das Reifen für viele Dinge ist, ist in Lech Zürs ebenso essentiell wie das tägliche Brot. Für Clemens Walch ist es auch sonst ein wichtiger Leitsatz im Leben. Denn er bespielt viele Bühnen: Zusammen mit seiner Frau Nicole, einer gebürtigen Australierin, betreibt er auch das vom Schwager übernommene Hotel; bis vor kurzem war er noch umtriebiger Tourismusobmann. Vor allem aber ist er eines: ein echter Lecher.
Und das heißt, er ist selbstbewusst und heimatverbunden. Eigenschaften, die helfen, ein Leben in den Bergen mit all seinen Höhen und Tiefen zu meistern. So wie das Hochwasser vor zehn Jahren, das ihre Existenz – das neu renovierte Hotel samt Bäckerei – fast zugrunde richtete. Ein echter Lecher zu sein heißt aber auch, an eine Sache zu glauben und dafür einzustehen. Oder anders ausgedrückt: solange dafür zu kämpfen, bis sich sogar die stursten Bauern in tiefer Anerkennung geschlagen geben. Der Hartnäckigkeit von Clemens Walch ist die neue Golfanlage zu verdanken, die 2016 in Betrieb genommen wurde. 20 Jahre lang hat er ausgeharrt, hat mit den Landwirten um den Grund verhandelt, hat Überzeugungsarbeit geleistet, dass dies der Weg nach vorne sei für qualitativen Sommertourismus, hat Vorausblick geübt für Zeiten, in denen vielleicht einmal alles ganz anders aussieht. Obwohl Clemens Walch einen sanften Charakter besitzt, ist er dennoch ein Mensch, der zu seinen Werten steht. 
Woher aber nimmt er die Ausdauer und seine Ideen? „Wenn man so früh alleine in der Backstube steht, dann hat man viel Zeit zum Nachdenken.” 

„Aus dem, was man hat, das Beste herausholen“

Progressives Denken ist etwas, das den Luxusskiort Lech Zürs auszeichnet. Eine logische Konsequenz, wenn man bedenkt, dass der Ort vor 120 Jahren nicht mehr war als ein kleines Bauerndorf, bevor der Tourismus alles verändert hat. „Die Leute waren arm”, erzählt Clemens Walch über seine Walser Vorfahren, „man hat gelernt, aus dem, was man hat, das Beste herauszuholen.“ Ein weiteres Merkmal der ureigenen DNA des Ortes, das sich heute stärker denn je offenbart. So wie durch die örtliche Vereinigung ‘vo:dô’ (von hier) mit Produkten wie Honig und Milch, erzeugt in Lech Zürs.
„Man versucht immer, etwas zu verbessern”, sagt Clemens Walch, der für sein Brot anstatt Natriumchlorid vollwertige Natursole verwendet. Eine Entdeckung, die er auf der Bäckerzunft Richmond in Luzern gemacht hat. Ein Kollege hat ihn darauf hingewiesen, dass das Himalaya-Salz, das er damals noch verwendete, doch gar nicht zur eigenen DNA passe.
Und ein Zufall, der keiner war, tat das weitere. Beim Skifahren auf der Piste traf er einen Freund, der sich von seinen folgenden Experimenten mit Natursole begeistert zeigte und ihn prompt mit Hannes Androsch, dem österreichischen Salzbaron, vernetzte. Die Versuche liefen so erfolgreich, dass bereits einige seiner Kollegen die Methode adoptierten, die auch bei einem renommierten New Yorker Backbuchautor Anerkennung fand. 
Noch dazu wird das Wasser vom ‚Stoanawasser Sepp’ mit Grandern (Steinen) aus Hallein energetisiert. „Man muss halt auch dran glauben”, sagt Clemens Walch. 

Die Moral von Ausdauer und Ehrlichkeit

Was aber die Heimatverbundenheit eines Lechers wirklich ausmacht, ist seine Standhaftigkeit. „Wir haben einige Male darüber nachgedacht, ob wir glücklicher wären mit einer neuen Existenz irgendwo anders”, resümiert Clemens Walch über so manche lukrative Kaufanbote für seinen Betrieb. „Aber wir sind immer wieder zum Entschluss gekommen, dass das nichts für uns ist.” 
Die Wurzeln der Familie sind fest verstrickt in der ausgeprägten dörflichen Gemeinschaft, die soviel Rückhalt gibt, wenn die Zeit oder die Natur die Hingabe der Walchs auf die Probe stellt. Als ihre Bäckerei und das Hotel damals, beim Hochwasser, von Schutt und Schlamm verschüttet waren, haben alle – auch einige Gäste – mitangepackt, um den Betrieb innerhalb kurzer Zeit wieder ins Laufen zu bringen.
In den Bergen lernt man schnell, sich der Natur anzupassen. Für Clemens Walch ist sie das, was ihn erdet. Zum Runterkommen zieht er sich deshalb gerne in seine Almhütte zurück und spielt steirische Harmonika. Dort oben hängt er auch Speckfleisch zum Reifen und brennt seinen eigenen Vogelbeerschnaps. 
„Denn eines sind wir Lecher auch”, lächelt er ein wenig verschmitzt, „Einzelkämpfer... Du kannst halt immer nur das leben, was du selber bist.“
Wer Clemens Walch kennt, empfindet ihn dennoch als jemanden, der in allem was er tut, sehr viel mehr im Blick hat als nur sein eigenes Wohl. Diesen Verdienst teilt er sich gerne mit Nicole. Denn hinter jedem starken Lecher steht eine ebenso starke Frau. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Seit 2016 leitet Clemens Wachls Neffe Martin die Backstube Lech.

Text: Sandra Pfeifer
Fotos: David Payr // friendship.is

28. August 2018

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