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Die Geschichten

Zu Gast In Einer Märchenwelt

Wenn man zum Eisklettern von Davos ins Sertigtal fährt, findet man nicht nur perfekte Bedingungen vor. Man macht auch irgendwie eine Reise in eine andere Welt.

Am Bahnhof Davos Platz, mitten in der Stadt, besteigen wir den Bus der Linie 8. Bei der Station Sertig Sand, beim Walserhuus, steigen wir aus – lediglich 25 Minuten dauert die Fahrt. Und doch hat man das Gefühl, in einer komplett anderen Welt gelandet zu sein. Es ist eine Busfahrt, die man exemplarisch für das nehmen könnte, wovon Einheimische und Gäste in Davos schwärmen: Statt in einer lebhaften Kleinstadt befinden wir uns nun in einem stillen, winterlichen Tal mit wenigen Häusern, die noch aus einer anderen Zeit stammen – Zeugnisse beinahe vergessener Holzbaukunst. Wir sind wirklich tief beeindruckt – und dabei noch nicht einmal am Ziel unserer Tour.

Willkommen in seiner Welt

Beim Walserhuus treffen wir Stefan Bodenmann, unseren Guide. Seit 2013 ist er als Bergführer in Davos Klosters unterwegs, schon von Kindesbeinen an war er mit seinem Vater zum Skifahren und Wandern in den Bergen. „Das ist mein Leben, damit bin ich aufgewachsen, das ist meine Welt“, sagt Bodenmann. Wann er das erste Mal geklettert ist, kann er nicht sagen. Vermutlich mit vier Jahren, darauf lassen zumindest Fotos aus seiner Kindheit schließen. Auch heute will er mit uns klettern gehen, allerdings nicht am Fels, sondern am gefrorenen Wasserfall.

Der Weg vom Walserhuus zu den Wasserfällen dauert rund eine Stunde, ungefähr ab der Hälfte geht es recht steil bergauf. Um besser voran zu kommen, hat Bodenmann Schneeschuhe mitgebracht – und damit der Weg durch den Schnee nicht zu anstrengend wird, schließlich wollen wir nachher noch klettern. Bodenmann strengt der Aufstieg naturgemäß weit weniger an, er erzählt von seinem Werdegang, von seiner früheren Arbeit als Zimmermann und seinem ständigen Bedürfnis, draußen zu sein. „Ich fühle mich draußen einfach wohler. Und wenn schon drinnen arbeiten, dann wenigstens etwas mit den Händen.“ Er erzählt auch, dass er erst mit 28 die Ausbildung zum Bergführer abschließen konnte, weil es zuvor noch etwas an der Skitechnik mangelte. Und warum das vielleicht sogar gut war: „So konnte ich die wilden Blödsinnjahre hinter mir lassen und reifer werden.“ Schließlich gehöre zu seinem Job nicht nur, die Gäste irgendwo rauf zu führen, sondern sie auch sicher wieder runter zu bringen.

Bizarr und beeindruckend

Zwischendurch bleiben wir immer wieder stehen. Nicht unbedingt weil wir völlig außer Atem wären, sondern weil man sich einfach Zeit nehmen muss, diesen Ausblick zu genießen. Wenn man talauswärts blickt, ist es kaum vorstellbar, dass nur zehn Kilometer weiter die höchstgelegene Stadt der Alpen liegt. Bereits zum zweiten Mal sind wir beeindruckt. Das dritte Mal folgt kurze Zeit später, als wir am Fuße der Wasserfälle stehen. Später wird Bodenmann uns auf die Frage, was ihm am Eisklettern so gefällt, verwundert eine Gegenfrage stellen: „Habt ihr die Wasserfälle nicht gesehen? Diese bizarren Formen? Das ist doch wie in einer Märchenwelt.“ Haben wir gesehen. Imposant ragen sie vor uns in die Höhe, am linken trainieren zukünftige Kollegen von Bodenmann, auch am rechten sind offenbar geübte Kletterer am Werk. Wir entscheiden uns für jenen in der Mitte. „Hier ist für jeden etwas dabei, für erfahrene Kletterer genauso wie für Anfänger.“

Bodenmann geht voran, beinahe spielerisch klettert er bis zum ersten Absatz, alle paar Meter setzt er eine Eisschraube, damit wir ihm im Anschluss gefahrenlos folgen können. Als er einen kleinen Vorsprung erreicht hat, gibt er uns das Zeichen, dass nun wir am Zug sind. Und auch wenn es nicht ganz so spielerisch geht: Die Begeisterung wächst mit jedem zurücklegten Meter. Eispickel rechts, Eispickel links. Kurzer Check, hält. Nun mit den Füßen nachsteigen. Steigeisen links, Steigeisen rechts. Schritt für Schritt wird das Vertrauen in das Eis und das Equipment größer. Bei Bodenmann angekommen, sind wir zwar ein wenig erschöpft – wenn es an Technik fehlt, braucht man deutlich mehr Kraft – aber restlos begeistert. Eine Situation, die Bodenmann zur Genüge kennt. Und für die er seinen Beruf liebt. „Egal ob das jetzt eine Ski- oder eine Klettertour ist: Gästen ein solches Erlebnis zu ermöglichen, ist etwas Wunderbares.“ erklärt er. „Und auch wenn die Tour für mich vielleicht nichts Neues mehr ist, ist jede Tour mit einem Gast ist einmalig. Eine neue Person, ein neues Gesicht, eine neue Story.“

Den Abstieg zurück zum Walserhuus bewältigen wir wesentlich schneller. Beinahe zu schnell, denn das Sertigtal ist ein Ort, an dem auch gerne mehr Zeit verbringen möchte. Aber es spricht ja nichts dagegen, wieder herzukommen. Schließlich sind es nur 25 Minuten. Mit der Linie 8.

bergfuehrer-davosklosters.ch

Text: Matthias Köb // friendship.is
Fotos: Walter Oberbramberger // friendship.is

5. Dezember 2016

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